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Westfalen-Blatt: Das WESTFALEN-BLATT (Bielefeld) zum Thema Künstler in der Krise

Geschrieben am 26-07-2012

Bielefeld (ots) - Wenn aus dem Hobbymusiker ein Berufsmusiker
wird, der davon aber weder sich noch seine Familie ernähren kann -
verfliegt dann die Leidenschaft? Viele Künstler, die es nicht an die
Spitze schaffen, verdienen nicht genug, um davon leben zu können. Ein
Engagement hier, ein Kurzzeit-Job dort: Mag die einzelne Gage auch
ansehnlich erscheinen, so ist sie für das Einkommen des Künstlers
nicht repräsentativ. Laut Künstlersozialkasse hat der
durchschnittliche deutsche Musiker im Jahr 2011 nur 11 700 Euro
verdient. Dass sich daraus Existenzängste ergeben, überrascht nicht.
Der Paderborner Musiker Eric Gressel zum Beispiel will womöglich
seine Bassgitarre gegen einen normalen Job tauschen - und sei es als
ein Rädchen im großen Getriebe der Musikindustrie. Der Mann ist kein
Einzelfall, und das wirft eine existentielle Frage auf: Geht die
Vielfalt unserer Kultur verloren, wenn kreative Köpfe ihr Talent
mangels Perspektive nicht mehr auszuschöpfen wagen? Ein Musiker ist
mit nur 9,9 Prozent am Verkaufserlös seines Albums beteiligt, was bei
15,90 Euro Ladenpreis auf mickerige 1,58 Euro hinausläuft. Sofern er
die Stücke selbst geschrieben hat, kommen 3,7 Prozent Autorenanteil
hinzu. Die Summe aber, die das Label für Vermarktung & Co.
vorgestreckt hat, muss aus dem Künstleranteil beglichen werden. Wer
ferner berücksichtigt, dass Downloads aus dem Internet dem CD-Verkauf
seit 15 Jahren sinkende Umsätze einbrocken, der merkt schnell: So
viele Alben kann Otto Normalkünstler gar nicht produzieren, dass es
für den Unterhalt einer Familie reichen würde. Also werden Alben nur
noch produziert, um sie auf Tour zu promoten. Längst sind es
Ticketverkauf und Fanartikel, die den Musikern einen minimalen
Standard sichern. In den meisten Berufen können Menschen von ihrer
Hände (und Köpfe) Arbeit leben. Warum sollte das bei Musikern anders
sein? Es ist klar, was hier stinkt: Die freien Musikdateien sind es,
die den Niedergang des Tonträgers eingeläutet haben, hier muss die
Lösung des Problems liegen. Musik hören - ja, dafür zahlen - nein,
danke?! Dateien herunterzuladen, wenn niemand guckt, soll sich vom
Klau einer Flasche Wodka aus dem Supermarkt unterscheiden? Der
Unterschied: Beim Wodka weiß man, was man tut, bei der Musikdatei
aber fehlt das Unrechtsbewusstsein. Ich zahle den Internet-Anschluss
- also darf ich auch alles im Netz nutzen . . . Wohl kaum. Der
Kreative muss, wie jeder andere, angemessen bezahlt werden. Der Fall
des Paderborner Bassisten zeigt: Es ist bereits fünf Minuten nach
zwölf. Die Freigabe kreativer Inhalte im Netz, die der Gesetzgeber
immer noch nicht geregelt hat, führt in dem Verbund aus Künstlern,
Agenten und Plattenfirmen zu Brüchen, die ganze Lebensentwürfe
scheitern lassen. Den schleichenden Tod seiner schöpferischen Elite
aber kann sich keine Kulturnation leisten.



Pressekontakt:
Westfalen-Blatt
Nachrichtenleiter
Andreas Kolesch
Telefon: 0521 - 585261


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