Mittelbayerische Zeitung: Schröders Luftnummer
Geschrieben am 21-08-2012 |
Regensburg (ots) - Von Maria Gruber
Als der Bundestag im Oktober 2011 die Familienpflegezeit
beschloss, war Familienministerin Kristina Schröder (CDU) voll des
Lobes: "Wir verabschieden heute ein Gesetz, das vielen pflegenden
Angehörigen helfen wird", sagte sie in ihrer Rede. Sie sprach von
einem innovativen, "praxistauglichen Instrument" und von einem
realistischen Konzept, das sich an den Bedürfnissen der Menschen
orientiert. Realistisch, innovativ, praxistauglich, an den
Bedürfnissen der Menschen orientiert? All das klingt wie aus einer
anderen Welt. Denn in Wirklichkeit zielt dieses Instrument, das der
besseren Vereinbarkeit von Pflege und Beruf dienen soll, aufgrund von
fundamentalen Konstruktionsfehlern völlig an der Zielgruppe vorbei.
Die Familienpflegezeit ist ein besonders eklatanter Fall purer
Symbolpolitik und beweist erneut das Scheitern der
Bundesfamilienministerin Kristina Schröder. Die Familienpflegezeit
soll den pflegenden Angehörigen vorgaukeln, dass sich die Regierung
für sie einsetzt. In Wirklichkeit aber wird gar nichts für sie getan.
Dabei kann die Arbeit pflegender Angehöriger nicht hoch genug
eingeschätzt werden. Sie sind die tragende Säule des Systems. Sie
kümmern sich um zwei Drittel der 2,4 Millionen Pflegebedürftigen und
sparen dem Sozialstaat viel Geld. Der Sozialverband VdK etwa geht
davon aus, dass sich ohne die pflegenden Angehörigen der Beitrag für
die Pflegeversicherung in den nächsten zwei Jahrzehnten mehr als
verdoppeln würde. Auf diejenigen, die bereit sind, ihre Angehörigen
zu pflegen, wird es also auch in Zukunft ganz besonders ankommen.
Gesetzliche Luftnummern wie die Familienpflegezeit helfen jedenfalls
nicht weiter. Denn sie geht an der Pflegerealität vorbei. Ein Grund
dafür ist der zeitliche Rahmen, den die Familienpflegezeit steckt:
Wer Vollzeit arbeitet und in die Situation kommt, sich etwa um die
Eltern kümmern zu müssen, ist nicht in der Lage zu beurteilen, wie
lange diese Phase dauern wird. Studien zufolge beträgt die
durchschnittliche Pflegedauer 9,6 Jahre. Wer sich allerdings länger
als 24 Monate um seine Angehörigen kümmern möchte/muss, für den kommt
die Familienpflegezeit allerdings nicht in Frage. Da die Regelung nur
die Pflege enger Verwandter wie Großeltern, Eltern, Schwiegereltern,
Ehegatten, Lebenspartner, Geschwister oder Kinder erlaubt, fallen
Freunde, Nachbarn oder Bekannte ebenfalls aus dem Raster. Sie kommen
als Pflegende nicht infrage, sind aber vor allem in Großstädten
Bezugspersonen, die sich dafür anbieten könnten. Aber auch das
ignoriert die Luftnummer Familienpflegezeit. Dass es keinen
Rechtsanspruch gibt, kommt erschwerend hinzu - fällt allerdings bei
der ohnehin geringen Anzahl von Beschäftigten, die die
Familienpflegezeit in Betracht ziehen können, beinahe nicht mehr ins
Gewicht. 14 Großunternehmen bieten die Regelung heute schon an, das
Ministerium geht davon aus, dass 400 000 Beschäftigte die
Familienpflegezeit nutzen können. Nicht einmal zehn Arbeitnehmer sind
es in Wirklichkeit, wie eine MZ-Umfrage unter den 14 Unternehmen
ergeben hat. Allein das spricht Bände. Was werden sich wohl die
vielen Frauen gedacht haben, die schon heute den Großteil der
häuslichen Pflege übernehmen,die ihre Arbeitszeit deshalb bereits
seit Jahren reduziert oder die Erwerbstätigkeit ganz aufgegeben
haben; die oft nur 400-Euro-Jobs ausüben und deshalb später eine
miserable Rente haben werden; deren Lebensläufe das sind, was man
gemeinhin als "unterbrochene Erwerbsbiografien" versteht und deshalb
später mit einer Minirente zurecht kommen müssen? Ob sie sich gefreut
haben, als Familienministerin Kristina Schröder ankündigte, nun den
pflegenden Angehörigen mit einem innovativen, praxisnahen und an den
Bedürfnissen der Menschen orientierten Konzept helfen zu wollen? Ganz
bestimmt nicht, als sie von der Familienpflegezeit sprach.
Pressekontakt:
Mittelbayerische Zeitung
Redaktion
Telefon: +49 941 / 207 6023
nachrichten@mittelbayerische.de
Kontaktinformationen:
Leider liegen uns zu diesem Artikel keine separaten Kontaktinformationen gespeichert vor.
Am Ende der Pressemitteilung finden Sie meist die Kontaktdaten des Verfassers.
Neu! Bewerten Sie unsere Artikel in der rechten Navigationsleiste und finden
Sie außerdem den meist aufgerufenen Artikel in dieser Rubrik.
Sie suche nach weiteren Pressenachrichten?
Mehr zu diesem Thema finden Sie auf folgender Übersichtsseite. Desweiteren finden Sie dort auch Nachrichten aus anderen Genres.
http://www.bankkaufmann.com/topics.html
Weitere Informationen erhalten Sie per E-Mail unter der Adresse: info@bankkaufmann.com.
@-symbol Internet Media UG (haftungsbeschränkt)
Schulstr. 18
D-91245 Simmelsdorf
E-Mail: media(at)at-symbol.de
412818
weitere Artikel:
- Westdeutsche Zeitung: US-Präsident droht mit Militärintervention in Syrien - Das Dilemma des Westens
Ein Kommentar von Wibke Busch Düsseldorf (ots) - Es klingt wie ein Paukenschlag: US-Präsident
Barack Obama erhöht den Druck auf Syriens Machthaber Baschar al-Assad
und droht mit einer Militärintervention. Bei genauerem Hinhören
allerdings ist der Paukenschlag eher ein Trommelwirbel. Von einem
Militärschlag im Syrien-Konflikt ist die westliche
Staatengemeinschaft noch immer weit entfernt.
Denn die "rote Linie", die Obama zog, bezieht sich allein auf den
Fall, dass Massenvernichtungswaffen in die "falschen Hände" - sprich,
in die von Terrororganisationen wie mehr...
- WAZ: Lobbyisten gegen die Allgemeinheit. Kommentar von Gregor Boldt Essen (ots) - Es sind leider häufig nur die kleinen
Wahnsinnsinitiativen der Politiker oder ihre halbgaren
Gesetzesbeschlüsse, die nach großem Aufschrei entweder gar nicht
umgesetzt oder wieder zurückgenommen werden. Etwa das Steuergeschenk
der FDP an die Hoteliers. Denkbar, dass auch Ramsauers
"Kennzeichen-Klamauk" gestoppt wird. Aber die eigentlichen Skandale
werden abgenickt. Ein Beispiel: Dass die deutsche Autolobby zu
Gunsten ihrer PS-Monster in Brüssel schärfere CO2-Grenzwerte
ausgebremst hat, wird zur Kenntnis genommen. Und mehr...
- WAZ: Rote Linien reichen nicht. Kommentar von Gudrun Büscher Essen (ots) - Es ist ein furchtbarer Krieg, der in Syrien tobt.
Jeden Tag werden Menschen gefoltert und abgeschlachtet. Jeden Tag
fliehen Tausende aus dem Land. Der syrische Machthaber Assad, der das
Schicksal seiner Nachbar-Despoten wie Gaddafi aus Libyen (von
Aufständischen getötet) und Mubarak aus Ägypten (im Gefängnis) vor
Augen hat, kämpft - mit offensichtlicher Unterstützung aus dem Iran -
ums nackte Überleben. Er steht mit dem Rücken zur Wand, ohne
Perspektive auf einen Ausweg. Das macht ihn so unberechenbar. Syrien
verfügt mehr...
- WAZ: Beschneidung ja, aber mit Auflagen. Kommentar von Walter Bau Essen (ots) - Hätte uns jemand vor drei, vier Monaten prophezeit,
schon bald werde dem Land eine heftige Debatte über die Beschneidung
jüdischer und muslimischer Jungen ins Haus stehen - wir hätten wohl
nur milde lächelnd den Kopf geschüttelt. Doch inzwischen stecken wir
mittendrin in genau dieser Debatte, die - hoch emotional befrachtet -
Feuilletons wie Leserbriefspalten füllt. Und der Berliner Auftritt
des israelischen Oberrabbiners wird die Diskussion neu befeuern. Mit
seiner (fast) kompromisslosen Haltung zu den Umständen der mehr...
- Schwäbische Zeitung: Politik laviert - Kommentar Leutkirch (ots) - Im Bemühen, sich in Sachen Glücksspiel ja nicht
festzulegen, zieht die Bundesregierung nun die Spielerkarte aus dem
Ärmel. Ein neuer und wohl wieder vergeblicher Versuch, den Boom der
Spielhallen mittels Bürokratie einzudämmen. Ob umprogrammierte
Geldspielautomaten oder Maximalgrößen für Zockerbuden - die Politik
legt den Betreibern immer wieder Steine in den Weg, die die Industrie
postwendend umgeht.
Ein klares Bekenntnis für oder gegen Spielhallen fehlt weiterhin:
Auf der einen Seite steht die grassierende mehr...
|
|
|
Mehr zu dem Thema Aktuelle Politiknachrichten
Der meistgelesene Artikel zu dem Thema:
LVZ: Leipziger Volkszeitung zur BND-Affäre
durchschnittliche Punktzahl: 0 Stimmen: 0
|