2050 stellen fossile Kraftwerke 60 Prozent der gesicherten Leistung / dena-Studie: Integration von Wind- und Solarstrom erfordert langfristigen Umbau des Stromsystems
Geschrieben am 22-08-2012 |
Berlin (ots) -
- Ohne neues Marktdesign werden erneuerbare Energieträger zur
Stromerzeugung auch 2050 nicht marktfähig sein
- Europäische Kapazitätsmärkte und grundlegende EEG-Novelle
erforderlich
- Integration fluktuierender Leistung nur im europäischen Rahmen
möglich
- Deutschland wird vom Netto-Stromexporteur zum Netto-Stromimporteur
- 2050: 240 GW installierte Gesamtleistung, davon 170 GW erneuerbar
und 61 GW fossil
Deutschland setzt bei der Stromerzeugung zukünftig auf einen
deutlichen Ausbau der erneuerbaren Energien. Um diese ins Stromsystem
zu integrieren und gleichzeitig die Versorgungssicherheit bei stark
fluktuierender Erzeugung aus Wind- und Solarkraftwerken zu
gewährleisten, wird Deutschland auch längerfristig einen ausgewogenen
Technologiemix zwischen erneuerbaren Energien und konventionellen
Kraftwerken benötigen. 2050 werden effiziente Gas- und
Kohlekraftwerke voraussichtlich rund 60 Prozent der gesicherten
Leistung stellen müssen - das heißt der Leistung, die zu jeder Zeit
sicher zur Deckung der Nachfrage verfügbar ist. Das geht aus einer
Studie der Deutschen Energie-Agentur GmbH (dena) hervor. Im
Mittelpunkt stehen Konsequenzen, Grenzen und notwendige Maßnahmen
einer Integration der erneuerbaren Energien in das
Stromversorgungssystem.
Neben der Modernisierung des fossilen Kraftwerksparks bringt der
geplante Ausbau der erneuerbaren Energien laut dena-Studie eine Fülle
von Herausforderungen mit sich: So kann bei weiter ungesteuertem
Ausbau der erneuerbaren Energien ein zunehmender Anteil ihrer
Erzeugung nicht genutzt werden. Der Bedarf an gesicherter Leistung
kann nicht vollständig durch inländische Anlagen gedeckt werden.
Zudem wird Deutschland bis 2050 zum Netto-Stromimporteur, wobei dafür
die grenzüberschreitenden Netze erheblich ausgebaut werden müssen.
Weitere Herausforderungen liegen beim inländischen Ausbau von Netzen
und Speichern sowie bei der flexiblen Regelung von Erzeugung und
Nachfrage.
"Der Atomausstieg und der Ausbau der erneuerbaren Energien sind
erst der Anfang", betonte Stephan Kohler, Vorsitzender der
dena-Geschäftsführung, bei der Präsentation der Studienergebnisse in
Berlin. "Energiewende heißt auch: neue effiziente fossile Kraftwerke,
mehr Netze, mehr Speicher, mehr Flexibilisierung bei Erzeugung und
Nachfrage - und Energiesparen wo immer wirtschaftlich möglich. Die
Rahmenbedingungen dafür müssen jetzt geschaffen werden. Unsere Studie
zeigt, mit welchen grundsätzlichen Herausforderungen wir es zu tun
haben." Untersucht wurde die Entwicklung des Stromsystems bis 2050
bei einem Ausbau des Anteils der erneuerbaren Energien auf über 80
Prozent des Bruttostromverbrauchs gemäß Leitszenario 2009 des
Bundesumweltministeriums unter Fortführung der heutigen
Rahmenbedingungen.
Konventionelle Kraftwerke auch 2050 noch in großem Umfang nötig
Um eine sichere Versorgung zu gewährleisten, kann die installierte
Leistung der konventionellen Kraftwerke bis 2030 nur um rund 14
Prozent auf 83 Gigawatt und bis 2050 nur um 37 Prozent auf 61
Gigawatt im Vergleich zu 2010 zurückgehen. Die erneuerbaren Energien
werden zwar 2050 über 80 Prozent des Stroms liefern, aber nur knapp
24 Prozent der gesicherten Leistung stellen, Speichertechnologien
stellen rund 9 Prozent der gesicherten Leistung. 7 Prozent des
Bedarfs an gesicherter Leistung müssten nach dem berechneten Szenario
durch weitere Kraftwerke, die Modernisierung älterer Anlagen oder auf
Basis von verbindlichen Verträgen aus dem Ausland bereitgestellt
werden.
Bis 2050 werden neben den Atomkraftwerken auch die meisten derzeit
noch aktiven Kohle-, Gas- und Ölkraftwerke stillgelegt sein. Die
neuen fossilen Kraftwerke mit einer Leistung von insgesamt 49
Gigawatt müssen gemäß Modellergebnis zum größten Teil bis 2020,
spätestens bis 2030 gebaut werden. Hinzu kommen 12 Gigawatt
konventionell befeuerte Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen (KWK). Ob diese
Kapazitäten tatsächlich gebaut werden, ist fraglich, weil die
Kraftwerke, mit Ausnahme der KWK-Anlagen, aufgrund des Vorrangs der
erneuerbaren Energien immer weniger Betriebsstunden haben und sich
unter den derzeitigen Rahmenbedingungen kaum noch wirtschaftlich
rechnen.
Ab 2020 häufen sich Situationen mit temporären Überschüssen an
Kraftwerksleistung
Der Ausbau der erneuerbaren Energien wird in Zukunft stärker
gesteuert und mit dem Netzausbau synchronisiert werden müssen. Ab
2020 wird es zunehmend zu Situationen kommen, in denen die
Stromerzeugung die Nachfrage übersteigt, zum Beispiel bei
gleichzeitig starkem Wind, starker Sonneneinstrahlung und niedrigem
Verbrauch. Bis 2050 können rund 66 Terawattstunden beziehungsweise 15
Prozent des im Inland produzierten Stroms aus erneuerbaren Quellen
weder im Inland noch im Ausland genutzt werden. Um die Anlagen in
diesen Zeiten nicht abregeln zu müssen, wurden in der Studie drei
Maßnahmen untersucht, die diesen Verlust insgesamt senken können:
flexiblere Gestaltung der Einspeisung aus KWK-Anlagen, Errichtung
zusätzlicher Speicherkapazitäten und stärkere Anpassung des
Verbrauchs an die Erzeugung (Demand-Side-Management).
Trotz dieser temporären Überschüsse wird sich Deutschland
langfristig vom Netto-Stromexporteur zum Netto-Stromimporteur
wandeln. 2050 wird Deutschland im Jahressaldo etwa 134
Terawattstunden - rund 22 Prozent des inländischen Stromverbrauchs -
aus dem Ausland importieren müssen, wenn nicht zusätzliche Kraftwerke
im Inland gebaut werden. Um die Importe, insbesondere von Strom aus
erneuerbaren Energien, handhaben zu können, muss neben dem
bestehenden europäischen Verbundnetz zusätzlich ein sogenanntes
Overlaynetz eingerichtet werden, das große Strommengen mit wenig
Verlust über große Entfernungen transportieren kann. Zusätzlich
müssen die Übertragungs- und Verteilnetze in Deutschland erheblich
ausgebaut und weiterentwickelt werden.
Ohne Änderung des Marktdesigns werden erneuerbare Energieträger
zur Stromerzeugung auch 2050 nicht marktfähig sein
Die Stromversorgung wird 2050 auf Grundlage des Szenarios deutlich
mehr kosten als heute. Ursache hierfür sind hohe Kosten für die
deutlich höheren Stromerzeugungskapazitäten, den Aus- und Umbau der
Netzinfrastruktur, für Reserve- und Regelenergie, Anbindung der
Offshore-Windparks und Flexibilisierungsmaßnahmen wie Stromspeicher.
Die erneuerbaren Energien würden unter dem heutigen Marktdesign auch
im Jahr 2050 nicht marktfähig sein. Dies bedeutet, dass die
Stromgestehungskosten erneuerbarer Energien nicht komplett über den
Verkaufspreis an der Strombörse gedeckt werden und daher die
Differenzkosten auch weiterhin auf den Endverbraucher umgelegt werden
müssten.
"Wir brauchen ein neues Strommarktdesign", sagte Kohler. "Dazu
gehören ein europäischer Kapazitätsmarkt, damit sich das Bereithalten
von gesicherter Kraftwerksleistung lohnt, und ein grundlegend
reformiertes Erneuerbare-Energien-Gesetz, das die Erneuerbaren besser
in den Markt und das Stromsystem integriert. Als Industrienation
müssen wir uns allerdings auch fragen, wie sehr wir uns von
Stromimporten abhängig machen wollen; und wie sehr andere Länder
bereit sind, jederzeit Kapazitäten für den deutschen Energiebedarf
zur Verfügung zu stellen. Die Selbstverständlichkeit, mit der manche
davon ausgehen, dass Leistungsdefizite im deutschen Energiesystem
durch Kraftwerke aus dem Ausland gedeckt werden können, ist
verwunderlich. Das Ziel sollte sein, die Stromversorgung in
Deutschland auch durch den bevorstehenden Wandlungsprozess hindurch
möglichst aus eigener Kraft und zu vertretbaren Kosten zu sichern -
mit einem ausgewogenen Mix aus erneuerbaren Energien, konventionellen
Kraftwerken, Speichern, Netzausbau, Demand-Side-Management und einer
maßgeblichen Steigerung der Energieeffizienz."
Energieeffizienz und europäischer Binnenmarkt
Bei der Berechnung des Szenarios wurde angenommen, dass der Anteil
der erneuerbaren Energien am Bruttostromverbrauch in Deutschland bis
2050 gemäß dem Leitszenario 2009 des Bundesumweltministeriums auf
über 80 Prozent ausgebaut wird. Für den Strombedarf wurde ein
gleichbleibendes Niveau vorausgesetzt. Dies entspricht dem bisherigen
Trend. Eine Senkung des Strombedarfs würde den Bedarf an
Kraftwerkskapazitäten reduzieren. Deshalb sind Maßnahmen, die den
Strombedarf senken, unbedingt zu befürworten.
Weiterhin geht die Studie von einem bisher nicht vorhandenen
intakten europäischen Strommarkt mit barrierefreien Netzen aus. Zur
Realisierung dieses Ziels bedarf es intensiver politischer
Unterstützung und einer Europäisierung der Energiepolitik. So muss
Deutschland bei der Gestaltung eines zukünftigen Strommarktdesigns,
dem Aufbau einer gesicherten konventionellen Kraftwerksleistung und
der Marktintegration der erneuerbaren Energien immer den europäischen
Binnenmarkt als Rahmen berücksichtigen.
Die Studie "Integration der erneuerbaren Energien in den
deutsch-europäischen Strommarkt" wurde von der dena im Auftrag der
RWE AG und in Zusammenarbeit mit dem Institut für elektrische Anlagen
und Energiewirtschaft der Rheinisch-Westfälischen Technischen
Hochschule Aachen erstellt. Zusammenfassung und Endbericht der Studie
unter www.dena.de/studien.
Pressekontakt:
Deutsche Energie-Agentur GmbH (dena), Dr. Philipp Prein,
Chausseestraße 128 a, 10115 Berlin
Tel: +49 (0)30 72 61 65-641, Fax: +49 (0)30 72 61 65-699, E-Mail:
presse@dena.de, Internet: www.dena.de
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