"DER STANDARD"-Kommentar: "Wie die ÖVP ihr Gesicht verliert" von Conrad Seidl
Geschrieben am 27-08-2012 |
Eine Volksabstimmung zur Wehrpflicht kann sich die Partei
nicht leisten (ET 28.08.2012)
Wien (ots) - Es gibt viele und gute Argumente für die
Abschaffung der Wehrpflicht - sie sind derzeit in der SPÖ
mehrheitsfähig. Es gibt auch ähnlich viele und ähnlich gute
Argumente, die Wehrpflicht beizubehalten - in der ÖVP_folgt man eher
diesen. Und zwar immer dann besonders gerne, wenn sich das
Bundesheer wieder einmal bei einem Hilfseinsatz bewährt hat.
Für die Abhaltung einer Volksabstimmung über die Wehrpflicht gibt
es viel weniger Argumente - und nur eines darf als wirklich gut
gelten: Im Vorfeld einer Volksabstimmung würden alle Bürger einmal
intensiv mit Fragen der Landesverteidigung konfrontiert. Eine Lösung
des Konflikts zwischen ÖVP_und SPÖ um das künftige Wehrsystem könnte
eine Volksabstimmung entgegen einer bis in hohe politische Kreise hin
verbreiteten Meinung nicht bringen:_Denn um bei der derzeitigen
Gesetzeslage eine Volksabstimmung überhaupt durchführen zu können,
müssten sich die beiden Regierungsparteien auf einen Text zur
Abschaffung der Wehrpflicht einigen, diesen im Nationalrat
beschließen und dann dem Volk zur Bestätigung vorlegen.
Das heißt im Klartext: Die ÖVP_müsste ein Gesetz mitbeschließen,
das von ihr abgelehnt wird - und dann die Bürger dazu aufrufen, genau
dieses Gesetz per Abstimmung zu Fall zu bringen.
Das wäre eine Vorgangsweise, die die Politik insgesamt und die
Volkspartei im Besonderen als völlig unglaubwürdig dastehen lassen
würde. Dass Michael Häupl so eine Vorgehensweise der ÖVP_zumuten
will, mag als schlauer Plan zur Schwächung der Schwarzen verstanden
werden. Wen aber will Erwin Pröll schwächen, wenn er Häupls
Vorschlag aufgreift? Was denken sich die anderen Landespolitiker der
ÖVP, wenn sie eine Volksabstimmung fordern?
Wollen sie die Bundespartei demütigen, wollen sie Michael
Spindelegger demontieren - oder haben sie einfach zu wenig Ahnung
von den gesetzlichen Vorgaben? Das ist zumindest bei jenen
unwahrscheinlich, die aus der Bundespolitik kommen wie der neue
Kärntner VP-Chef Gabriel Obernosterer oder gar der Tiroler
Landeshauptmann Günther Platter, der immerhin einmal
ressortzuständiges Mitglied der Bundesregierung war.
Und: Wissen die Landespolitiker nicht, dass es ein ÖVP-Konzept zur
Einleitung eines Referendums nach Volksbegehren (und ohne eigenen
Gesetzesbeschluss) gibt? Über diesen Weg ließe sich eine
Volksabstimmung ohne Gesichtsverlust einleiten - aber dieses von
Spindelegger kommende Konzept wird offenbar in seiner eigenen Partei
nicht sehr ernst genommen.
Was bleibt also als Ausweg?
Spindelegger weiß offenbar keinen. Bundeskanzler Werner Faymann
dagegen schon: Er hat am Montag der ÖVP angeboten, statt einer
Volksabstimmung doch lieber eine Volksbefragung durchzuführen. Für
dieses Instrument braucht man nämlich - was offenbar den sogenannten
"Granden" der ÖVP_nicht bekannt ist - keinen vorherigen
Gesetzesbeschluss.
Die ÖVP könnte diesen Weg ohne Gesichtsverlust gehen, wenn man
sich auf einen Befragungstext einigen kann, der nicht (wie das bei
manchen Wiener Volksbefragungen üblich war) aus einer Suggestivfrage
besteht. Und sie könnte die Diskussion wieder auf die sachliche Ebene
bringen. Dann würde darüber diskutiert, ob die Argumente für ein
Berufsheer schwerer wiegen oder die für die Wehrpflicht.
Rückfragehinweis:
Der Standard, Tel.: (01) 531 70/445
Digitale Pressemappe: http://www.ots.at/pressemappe/449/aom
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