Mittelbayerische Zeitung: Leitartikel zum Jahrestag des "Schwarzen Montag": Angriff auf die Algorithmen
Geschrieben am 18-10-2012 |
Regensburg (ots) - Es war, als würden die Zuschauer eines voll
besetzten Theaters versuchen, durch einen einzigen Ausgang nach
draußen zu gelangen", hat ein US-Finanzprofessor den "Schwarzen
Montag" von 1987 beschrieben. Übersetzt ins Jahr 2012, wäre der
Ausgang bereits verschlossen, noch ehe sich der erste Theatergast
überhaupt erhoben hätte - "Flash Crash" lautet das Stichwort heute.
Der Begriff für das blitzartige Abstürzen von Börsenkursen wurde vor
zwei Jahren kreiert, als der größte Aktienindex der Welt Dow Jones
knapp zehn Prozent seines Wertes verlor - binnen weniger Minuten.
Ursache war wohl eine Computerpanne. Seitdem folgen im Abstand von
wenigen Wochen an den Weltbörsen immer wieder Pleiten und Pannen, die
nichts mit Pech, sondern ausschließlich mit dem Computerhandel zu tun
haben. Es geht um programmierte Handlungsanweisungen, sogenannte
Algorithmen, die in Bruchteilen von Sekunden Kauf- und
Verkaufsaufträge an die Börsen senden und so die Kurse beeinflussen.
Betroffen davon ist alles, was elektronisch handelbar ist: Aktien,
Zinsen, Währungen, Rohstoffe - mit Schadenshöhen, die dreistellige
Millionenbeträge erreichen können. Ein aktueller Fall ging als
"kürzester Börsengang aller Zeiten" in die Finanzgeschichte ein. Ende
März musste das Unternehmen Bats sein Debüt als Aktiengesellschaft
beenden, weil der Aktienkurs von 15 Dollar auf unter 30 Cent gefallen
war - in weniger als einer Sekunde. Zynisch wird der Fall, wenn man
den Geschäftsgegenstand betrachtet: Bats ist die drittgrößte
elektronische Handelsplattform der USA. Das Bats-Fiasko ist für
Marktbeobachter jedoch kein Anlass zu Häme, sondern vielmehr zu
Besorgnis, dass beim Angriff der Algorithmen die nächste Stufe der
Eskalation erreicht ist. Wurde bisher versucht, sich zwischen Angebot
und Nachfrage zu drängen, um die zweite oder dritte Stelle hinterm
Komma zum eigenen Vorteil auszunutzen, geht der Trend nun offenbar
zum Frontalangriff auf missliebige Marktteilnehmer über. Aktuell
prüfen Börsenaufsichten Algorithmen, die Handelssysteme verstopfen
oder die Internet-Bandbreiten von Börsenplätzen schmälern - ob damit
bereits Profite gemacht, oder nur die Möglichkeiten getestet werden,
ist selbst für IT-Experten nur schwer zu durchschauen. Mit dem
traditionellen und von Otto Normalanleger erwarteten, transparenten
Handel haben diese Exzesse natürlich nichts mehr zu tun. Die
Rechtfertigungen der Lobbyisten von "Liquidität" und "Preiseffizienz"
sind so fehl am Platz, wie die Frage nach dem gesellschaftlichen
Nutzen des Computerhandels, die auch immer wieder ins Spiel gebracht
wird. Während die Geschwindigkeiten und Amplituden der Kursausschläge
von einst und heute keinen Vergleich zulassen, gibt es zwischen dem
Handel zu Zeiten des "Schwarzen Montags" und heute durchaus
Parallelen: eine mangelhafte Regulierung. Damals, vor 25 Jahren,
gingen die Verkaufsaufträge "waschkörbeweise ein", wie sich
Frankfurter Börsen-Urgestein Fiedel Helmer erinnert. Heute kann bei
Hunderttausenden Datensätzen pro Minute die Börsenaufsicht im Falle
einer Marktstörung gleich eine Spedition beauftragen, wenn es die
Unterlagen sichten will. Zumindest kam in den vergangenen Wochen
Bewegung in den Kampf gegen derartige Missbräuche. Deutschland und
Frankreich engagierten sich hartnäckig für eine Allianz zur
Besteuerung derartiger Transaktionen, die wie ein Tempolimit wirken
soll. Mit Erfolg: Insgeamt elf EU-Länder planen, ab 2014 bei sich
zuhause die so genannte "Tobin Tax" einzuführen. Abgewehrt ist damit
der Angriff der Algorithmen nicht, höchstens der Schauplatz dafür
verschoben. Für den Hochfrequenzhandel bleiben noch genug
Tummelplätze, wie das Nicht-EU-Land Schweiz oder die City of London,
die sämtliche Regulierungsbemühungen bisher erfolgreich blockierte.
Dennoch könnte der Pakt zumindest ein Anfang werden, um den Vorwurf
vieler Kleinanleger zu entkräften, dass Börsen nur noch Kasinos sind.
Zusammen mit einem Signal institutioneller Anleger, ausschließlich
auf gesicherten Börsenstandorten zu handeln, könnte aus der
Steuer-Allianz der besagten elf EU-Länder tatsächlich eine Initiative
werden, die dem Blitz-Handel den Stecker zieht. Autor: Von Roman
Hiendlmaier
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