DER STANDARD-Kommentar "Eine ziemlich verrückte Familie" von Thomas Mayer
Geschrieben am 19-10-2012 |
"Die EU verwandelt sich auf leisen Sohlen zur Euro-Union,
streitet viel, wächst weiter" - Ausgabe 20.10.2012
wien (ots) - Was wird bloß aus dieser Union mit ihren 27
Mitgliedern? Wie ein böser Geist schwebte diese Frage über dem
jüngsten Treffen der Staats- und Regierungschefs. Es ging um Themen,
die für die Gemeinschaft überlebenswichtig sind. Die reichten von der
Eurokrise über die Pläne, wie man die im Süden staatenbedrohende
Jugendarbeitslosigkeit abbauen könnte, bis zum Megaproblem, wie die
_demokratische Legitimierung milliardenschwerer Notmaßnahmen nach
einer großen Reform der EU-Verträge verbessert werden könnte. Wohin
man auch blickt, bei fast allem schienen "die Chefs" nichts als
Streit zu suchen: Der Franzose Hollande mit der Deutschen Merkel bei
der Bankenaufsicht; Cameron mit dem Polen Tusk, weil der Brite das
EU-Budget bis 2020 empfindlich zusammenstreichen will, zum eigenen
Vorteil und zulasten der Länder im Osten. Und zwischendurch schien
es, als würde sich der Europäische Rat sogar beim Entscheid in den
Haaren liegen, wer nach Oslo reist, um den Nobelpreis
entgegenzunehmen, wer dort spricht, was das überhaupt bedeutet. Nun,
die Umstände der "Friedensreise" wurden nur fast ganz geklärt. Aber
gerade das kann symbolhaft gedeutet werden für die Art, wie
Entscheidungen in Europa getroffen werden. Die Union wird bei der
Nobelpreisverleihung wie eine ziemlich verrückte Familie einreiten.
Die drei Präsidenten von Kommission, Parlament und Rat werden
stellvertretend für EU, Völker und die Länder auftreten. Sprechen
wird im Namen der Union José Manuel Barroso. Der Clou: Auf Anregung
Herman Van Rompuys sollen viele, wenn nicht fast alle Staats- und
Regierungschefs stolz im Saal sitzen. Nur der Brite David Cameron hat
bereits abgesagt, als ewiges Zornbinkerl der Europafamilie. Ist das
gut oder schlecht? Nein, die Welt kann leibhaftig sehen, wie Europa
sich entwickelt: Am Ende hält man doch zusammen, vor allem in der Not
wie der Eurokrise, hilft den Griechen. Dieses Erklärungsmuster einer
gar seltsamen, aber am Ende bisher immer erfolgreichen Integration
seit 1957 lässt sich an vielen Entwicklungen belegen. Jüngstes
Beispiel: Vor einem Jahr hielten nicht wenige es für ausgeschlossen,
dass die Eurogruppe sich einen Fiskalpakt gibt und den
Euro-Stabilisierungsfonds (ESM) um ein Jahr vorzieht (das eine wollte
Merkel, das andere Hollande). Es tobte der Streit, seit ein paar
Wochen sind beide Regelungen in Kraft. Eine (vermutlich gar nicht
kühne) These lautet: In einem Jahr startet die Bankenunion mit
EU-weiter Aufsicht. Auch sie wird die Grundlage für eine spätere
Fiskalunion, für gemeinsame Schuldenbewirtschaftung und Investments.
Das wurde im Juni gestartet. Die EU entwickelt sich eher auf leisen
Sohlen weiter zur Euro-Union, mit dem Kern der Eurozonenstaaten. In
ein paar Jahren dürfte es Mechanismen des gegenseitigen Beistands
geben, die ähnlich wirken wie Artikel 5 der Nato: Wenn ein Partner
angegriffen wird, helfen ihm alle anderen mit allen Mitteln. Die
Waffe ist Geld. Es gibt noch eine andere verblüffende Parallele zur
Nato: Die war bis 1989 reines Militärbündnis gegen den Warschauer
Pakt. Seither wuchs sie zur Sicherheitsgemeinschaft mit fast mehr
Partnern als Mitgliedern, wie Österreich. Wie geht es in der EU
weiter? 2013 tritt Kroatien bei, 2014 führt Lettland den Euro ein.
Sie vertieft sich zur Euro-Union, wächst auf dem Balkan, verändert
sich. Manche - Cameron - entfernen sich wieder. So sind wir.
Rückfragehinweis:
Der Standard, Tel.: (01) 531 70/445
Digitale Pressemappe: http://www.ots.at/pressemappe/449/aom
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