DER STANDARD-Kommentar "Das Interesse der Lehrer" von Michael Völker
Geschrieben am 15-11-2012 |
- Ausgabe 16.11.2012
wien (ots) - Das Angebot an Ganztagsschulen soll rasch ausgebaut
werden, darüber herrscht weitgehend Konsens. Zwei große Bremser gibt
es dennoch: Das ist zum einen die ÖVP, zum anderen sind das die
Lehrer. Beide sind unwillig, aus unterschiedlichen Gründen.
Die ÖVP kommt in dieser Frage über ihre ideologischen Schranken nicht
hinaus, sie ist in ihrem altmodischen Denken gefangen. Vizekanzler
Michael Spindelegger musste erst aus dem Schmollwinkel geholt werden,
stimmte dem Ausbau aber schließlich zu - mit Bedingungen.
Unverständlich ist, warum Spindelegger der Nachmittagsbetreuung, also
der Aufbewahrung der Kinder mehr abgewinnen kann als einem
verschränkten Unterricht, bei dem sich über den Tag verteilt
Unterricht, Sport, Lernen, Freizeit, Aufgaben und Kurse abwechseln.
Das Modell eines verschränkten Unterrichts ist jenem des geblockten
Unterrichts am Vormittag und der beaufsichtigten Aufbewahrung am
Nachmittag so haushoch überlegen, dass es darüber eigentlich gar
keine Diskussion geben sollte.
Es gibt sie dennoch. Die ÖVP führt sie, weil sie noch dem Modell
nachhängt, dass die Mutti zu Hause bleibt und am Nachmittag mit den
Kindern Aufgabe macht und den Buben zum Fußball und das Mädchen zum
Ballett führt.
Auch die Lehrer führen diese Diskussion - aus blankem Eigeninteresse.
Viele begreifen ihren Job als Halbtagsjob, wollen am Nachmittag nach
Hause gehen und nicht in der Schule unterrichten. Das stellt die
Eigeninteressen über alles andere, über das Wohl der Kinder, das
nimmt den Jugendlichen Chancen, das nimmt auch der Gesellschaft viele
Chancen. Es gibt Lehrer, die glauben, die Schule hat für sie dazu
sein, nicht für die Schüler. Darum wäre es absurd, den Lehrern ein
Vetorecht beim Ausbau zur Ganztagsschule einzuräumen. Das wäre das
Ende des Projekts.
Dass Lehrer auch berechtigte Ansprüche und Forderungen haben, ist
allerdings ebenso unbestritten. Natürlich brauchen sie in der Schule
ein entsprechendes Umfeld, sie brauchen Platz und adäquate
Arbeitsplätze und eine vernünftige Bezahlung. Dafür hat die Politik
zu sorgen.
Das Bild der Lehrer wird sich hoffentlich bald ändern - vom
Halbtagsjob mit einem Übermaß an Freizeit hin zu einem ganzwertigen,
verantwortungsvollen und allseits geschätzten Beruf. Dazu wird es
auch ein neues Lehrerdienstrecht brauchen. Auch dafür hat die Politik
zu sorgen - zur Not auch gegen den Willen der (jetzigen) Lehrer.
Rückfragehinweis:
Der Standard, Tel.: (01) 531 70/445
Digitale Pressemappe: http://www.ots.at/pressemappe/449/aom
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