WAZ: Die Verschwörung gegen Willy Brandt
- Leitartikel von Ulrich Reitz
Geschrieben am 29-11-2012 |
Essen (ots) - Einig über Griechenland. Einig über Afghanistan. Die
Parteien könnten über die Außen- und Sicherheitspolitik streiten.
Über noch mehr Geld für die Pleite-Griechen. Über weniger Soldaten
für die korrupte Afghanen-Regierung. Es wäre eine große Debatte wert.
Allein - es passiert wenig bis nichts. SPD und Union sind, teils aus
inhaltlichen, teils aus taktischen Gründen, nicht auf Krawall
gebürstet. Nicht Systemstörung, sondern Systembestätigung lautet ihre
Devise. Man könnte auch sagen: In der Außenpolitik regiert ein
Realo-Konsens. Das war einmal völlig anders und die Enthüllung in
einer Doktorarbeit über eine Verschwörung von Teilen der Union gegen
den ersten SPD-Kanzler Willy Brandt rückt diese Zeit ins Licht.
Damals, vor 40 Jahren, gab es in der CDU noch Konservative. Man muss
das den jüngeren Leuten in Erinnerung rufen, die irrtümlich
vielleicht sogar Angela Merkel für konservativ halten. Damals
herrschte Kalter Krieg zwischen der Sowjetunion und den USA,
Deutschland war in Demokratie und Diktatur geteilt und Willy Brandt
wollte die eisernen Grenzen verschieben. In der CDU witterten sie
Landesverrat. Sie begnügten sich allerdings nicht mit ihrer Meinung,
sondern installierten, so die Doktorarbeit, einen Neben-Geheimdienst,
um konspirativ gegen Brandt zu arbeiten. Das wirft Fragen auf, die
auch heute noch interessant sind: War der Ex-Kanzler Kohl tatsächlich
informiert? Welche Rolle spielte Bayerns Ex-Ministerpräsident Strauß?
Floss Geld aus Parteikassen? Und wie viel? Welche Rolle spielten
Firmen, die das abenteuerliche Vorhaben mit beachtlichen Summen
gefördert haben sollen? Und auch dies: Was hat mit all dem der
mächtige US-Außenpolitiker Henry Kissinger zu tun? Über ihn sagt
Ostpolitik-Architekt Egon Bahr, hätte der Ami damals nein gesagt,
Willy Brandt hätte seine Ostpolitik bleiben lassen. Die Welt sähe
heute wohl anders aus, wäre es so gekommen. Am kommenden Montag fängt
der CDU-Parteitag an. Es geht um Atmosphärisches zur
Niedersachsen-Wahl. Das Mütterbild der Partei. Und solche Sachen. Es
geht also um luxuriös wenig. Vielleicht bleibt den Christdemokraten
ja noch ein wenig Zeit, Licht in dieses Geheimdienstdunkel zu
bringen.
Pressekontakt:
Westdeutsche Allgemeine Zeitung
Zentralredaktion
Telefon: 0201 - 804 6519
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