Börsen-Zeitung: Sturz von der Klippe, Kommentar zum US-Haushaltsstreit von Peter De Thier
Geschrieben am 27-12-2012 |
Frankfurt (ots) - Die Uhr läuft unerbittlich, und die
Wahrscheinlichkeit, dass es in Washington im bitteren Streit um die
Umgehung der "Fiskalklippe" noch in letzter Sekunde einen Kompromiss
gibt, wird immer geringer. Einigen sich die beiden politischen Lager,
Demokraten und Republikaner, nicht, laufen zum Jahresende befristete
Steuersenkungen aus. Außerdem kommt es dann zu einer gesetzlich
verankerten Senkung von Staatsausgaben.
Den Kontrahenten verschließt sich offenbar, welchen massiven
Schaden sie mit einem möglichen Sturz von der Klippe anrichten
würden. Mit dem drohenden Stimulusentzug könnten Regierung und
Opposition die weltgrößte Volkswirtschaft in die nächste Rezession
stürzen. Mindestens ebenso schwer wöge dabei der Schaden für das
Vertrauen in die Funktionsfähigkeit des politischen Systems. Eine
weitere Herabstufung der US-Bonität durch die Ratingagenturen könnte
folgen. Dies dürfte erst recht der Fall sein, wenn es Weißem Haus und
Repräsentantenhaus auch nicht gelingt, sich auf eine Erhöhung der
immer näherrückenden gesetzlichen Grenze für die US-Verschuldung zu
einigen. Ökonomen fürchten bereits, dass Washington in wenigen
Monaten zahlungsunfähig wird.
Doch die Fronten sind bei beiden Streitthemen festgefahren.
US-Präsident Barack Obama beharrt auf seinem Plan, Besserverdienende
stärker zur Kasse zu bitten, während die republikanische Opposition
sich auf die Hinterbeine stellt und Steuererhöhungen selbst für
Millionäre blockieren will. Bis zum Jahresende wird es bestenfalls
gelingen, eine Übergangslösung zu finden, um die drohenden
Steuererhöhungen für 98% aller US-Haushalte abzuwenden. Das aber wäre
reines Flickwerk. Wie es nämlich gelingen soll, langfristig den
wachsenden staatlichen Schuldenberg abzutragen, bleibt ein Rätsel.
Nichts gelernt
Wie kann es bloß angehen, dass nach dem Desaster im Sommer
vergangenen Jahres, als der Staat vor der Pleite stand und zum ersten
Mal in der Geschichte eine führende Ratingagentur amerikanische
Staatsanleihen herabstufte, die Politiker nichts dazugelernt haben?
Es liegt zum einen daran, dass sich beide Seiten an ideologischen
Positionen festgebissen haben. Der sozialliberale Präsident versteht
sich als Verteilungspolitiker. Er will dem wachsenden
Einkommensgefälle zwischen den Reichen und der nach wie vor unklar
definierten Mittelklasse ein Ende setzen. Republikaner hingegen
weigern sich dogmatisch, höheren Steuern zuzustimmen.
Zuletzt scheiterte Oppositionschef John Boehner in seinem Bemühen,
mit der höheren Besteuerung von Haushalten, die mehr als 1 Mill.
Dollar im Jahr verdienen, wenigstens minimales Entgegenkommen zu
signalisieren, am Widerstand der eigenen Partei. Ein weiteres Problem
ist, dass das Debakel seinen Ursprung bereits vor mehr als einem
Jahrzehnt hatte. Als 2001 die ersten befristeten Steuernachlässe
verabschiedet wurden, über deren Verlängerung nun gestritten wird,
hieß der Präsident George W. Bush. Er hatte von seinem Vorgänger Bill
Clinton Haushaltsüberschüsse geerbt und wollte die Überschüsse den
Steuerzahlern zurückerstatten. Doch die Zeiten sprudelnder
Steuereinnahmen sind längst vorbei. Aus einem Überschuss von 236 Mrd.
Dollar, den Clinton seinem Nachfolger überließ, wurde ein jährlicher
Fehlbetrag von mehr als 1 Bill. Dollar. Die Staatsverschuldung
beträgt mehr als 100% des Bruttoinlandsproduktes (BIP) und bereits am
Montag, das ließ US-Finanzminister Timothy Geithner am Mittwoch den
Kongress wissen, wird die gesetzliche Verschuldungsgrenze ein
weiteres Mal erreicht sein. Nur mit buchhalterischen Tricks kann dann
die Zahlungsunfähigkeit noch ein paar Monate hinausgeschoben werden.
Affentheater
Die Lage ist ernst, doch das politische Affentheater geht weiter.
Selbst um den Preis von über 3,4 Millionen Arbeitsplätzen, die nach
Ansicht der unabhängigen Haushaltsbehörde CBO vernichtet würden,
sollten die USA in die nächste Rezession abgleiten. An den
Weltfinanzmärkten drohen heftige Turbulenzen.
Es ist unfassbar, dass es intelligenten Menschen, die ins Amt
gewählt wurden, um Kompromisse zu schmieden und das Gemeinwohl über
das eigene politische Dogma zu stellen, offenbar nicht gelingen will,
einen Mittelweg zu finden. Die Hauptschuld trifft die Republikaner.
Sie stemmen sich rigide gegen politisch tragfähige und ökonomisch
sinnvolle Steuererhöhungen, denen eine klare Mehrheit der Wähler
zustimmt - selbst viele von denen, die betroffen wären. Aber auch
Obama hat keine blütenweiße Weste. Schließlich hat er die konkreten
Vorschläge jener paritätisch besetzten Schuldenkommission, die er
selbst ernannt hatte, einfach ignoriert. Damit will er der dringend
notwendigen Diskussion um die Reform der gesetzlichen
Ausgabenprogramme aus dem Weg gehen. Diese zum Verhandlungsgegenstand
zu machen, haben die Republikaner hingegen zur Conditio sine qua non
erklärt.
Wegen der festgefahrenen Positionen ist das angestrebte umfassende
Haushaltsgesetz, mit dem der Grundstein gelegt werden sollte, um
langfristig den Schuldenberg abzutragen, außer Reichweite. Vermutlich
wird nun die Gefahr des Sturzes von der fiskalischen Klippe über den
Jahreswechsel in Kauf genommen. Dann, im neuen Jahr, werden die
eingetretenen Steuererhöhungen wohl rasch wieder rückgängig gemacht.
Denn formal einer Steuersenkung zuzustimmen, stünde sowohl
Republikanern als auch Demokraten politisch besser zu Gesicht - und
leider scheint ihnen dies derzeit das einzig Wichtige zu sein.
Pressekontakt:
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Telefon: 069--2732-0
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