Allg. Zeitung Mainz: Nur mit Anstand / Kommentar zur Einkommensdebatte
Geschrieben am 30-12-2012 |
Mainz (ots) - Wäre Peer Steinbrück ein Bayer, man würde ihn schon
lange ein politisches Urviech nennen. Aber auch so ist er, der
gebürtige Hamburger, eins. Das Wesen des politischen Urviechs besteht
darin, Wahrheiten oft so brachial zu verkünden, dass die meisten
Zuhörer vor den Kopf gestoßen sind. Auch ist das Differenzieren nicht
die Stärke des Urviechs. Steinbrück wäre kein schlechter Kanzler. Ob
er es aber schafft, Kandidat zu bleiben, ist fraglich, wenn er so
weitermacht. Wahr ist: Das Einkommen eines Kanzlers oder einer
Kanzlerin ist in Relation zu Managergehältern niedrig. Ein Teil der
Wahrheit ist aber auch, dass hohe politische Positionen nach der
Amtszeit ein roter Teppich sind, hin zu äußerst lukrativen
Tätigkeiten als Berater oder Redner. Wer wüsste das besser als
Steinbrück. Selbst Helmut Schmidt, in Deutschland - nicht völlig zu
Unrecht - fast wie ein politischer Heiliger verehrt, gab zu, für
Vorträge nie unter 15000 Dollar kassiert zu haben. Gesundes
Gewinnstreben ist im Prinzip eine positive Eigenschaft - allerdings
nur dann, wenn es mit menschlichem Anstand und
Verantwortungsbewusstsein einhergeht. Neid mag eine Antriebsfeder
sein, jedoch meistens eine zerstörerische. Der Markt darf nicht
idiotisch werden Das durchschnittliche Jahresbruttoeinkommen eines
deutschen Arbeitnehmers liegt bei rund 35000 Euro. Dies vor Augen,
ist es noch nachvollziehbar, dass ein durchschnittlicher
Bundesligatrainer wie Dieter Hecking kürzlich sein Jahressalär von
900000 Euro dadurch verdoppelte, dass er eine
Vertragsausstiegsklausel nutzte. So sind nun mal die Gesetze der
Marktwirtschaft, die sich immerhin im Vergleich zur sozialistischen
Planwirtschaft als sinnvoller erwiesen hat. Mental nur schwer zu
verkraften ist es allerdings, wenn der Markt idiotisch wird, wenn
gierige Banker dadurch reich werden, dass sie die Weltwirtschaft an
den Abgrund führen, oder wenn es in einem Land wie Spanien, das zum
Sanierungsfall für den Euro-Rettungsschirm werden könnte, möglich
ist, dass sich Fußballclubs in dreistelliger Millionenhöhe
verschulden. Dann laufen Dinge fürchterlich aus dem Ruder und es
besteht Handlungsbedarf. Natürlich nicht in der Weise, wie es in
Frankreich der seinen Aufgaben intellektuell möglicherweise nicht
gewachsene neue Präsident Hollande versuchte: Die höchsten
französischen Richter stoppten kopfschüttelnd die einer illegalen
Enteignung gleichkommende 75-Prozent-Besteuerung von
Millioneneinkommen. "Arm" und "reich" sind relative Begriffe. 850
Millionen Menschen weltweit hungern. In Entwicklungsländern sterben
täglich Tausende an Unterernährung. Mit solchen Zahlen bedürftige
deutsche Obdachlose einschüchtern zu wollen, wäre perfide. Das
Mögliche muss realisiert werden, überall. Unser aktueller
Evolutionsstatus reicht für so etwas wie eine weltumspannende
materielle Gerechtigkeit offenkundig nicht aus. Aber das Bemühen
darum, basierend auf Problembewusstsein und Verantwortung, das sollte
schon sein.
Pressekontakt:
Allgemeine Zeitung Mainz
Florian Giezewski
Regionalmanager
Telefon: 06131/485817
desk-zentral@vrm.de
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