"DER STANDARD"-Kommentar: "Brot und Spiele, made in Vienna"
von Petra Stuiber
Geschrieben am 02-01-2013 |
Bei der Wiener Volksbefragung geht es um Ablenkung, nicht um
direkte Demokratie - Ausgabe vom 3.1.2012
Wien (ots) - Das "beste Mittel gegen Politikverdrossenheit" soll
die Wiener Volksbefragung sein, und das ausgerechnet im europäischen
"Jahr der Bürger"? Dem Wiener SP-Landesparteisekretär Christian
Deutsch ist glatt zuzutrauen, dass er sogar glaubt, was er da via
Aussendung zu Jahresbeginn zum Besten gegeben hat. Das passt zum
Selbstverständnis der Regierungsriege um Bürgermeister Michael Häupl:
Man weiß hier einfach, welche Politik gut für Wien und die Wiener ist
- und wenn man einmal doch das Volk befragen muss, macht man es so,
dass nichts Unvorhergesehenes passieren kann. Das Befragungs-Placebo
ist einfach komponiert und trifft bestimmt den Massengeschmack.
Genossen und FreundInnen verrührten als Basis eine Handvoll
Parkraumbewirtschaftungsprobleme mit einer grünen
Alternativenergie-Zutat, würzten das Ganze mit einer großzügigen
Prise Anti-EU-Polemik in Sachen Daseinsvorsorge und verfeinerten mit
der wichtigsten Zutat von allen: der Olympia-Frage. Toute Vienne wird
sich an dieser Frage nicht sattdebattieren. Die Skeptiker und
Sarkastiker werden sich daran erhitzen, dass es Wien bis dato nicht
einmal geschafft hat, für die Fußball-EURO 2008 ein modernes Stadion
zu bauen, geschweige denn das nun schon ewig tröpfelnde
Stadthallenbad abzudichten. Krone und Trabanten werden mit Verve
dagegenhalten und die Patriotismuskeule schwingen, und der ORF-Sport
wird brav apportieren. Dabei werden die Streitenden vielleicht sogar
vergessen, dass ein solches Ereignis (wenn überhaupt) in frühestens
15 Jahren stattfinden könnte. Da kann sich zumindest Häupl beruhigt
zurücklehnen - sofern er nicht Stronach'sche Ambitionen entwickelt.
Für den Augenblick ist die Ablenkung gelungen. Die SPÖ hat ihre
schöne Tradition an No-na-Befragungen aus dem verwichenen Wahlkampf
in die neue Legislaturperiode gerettet. Primär musste die Scharte
ausgewetzt werden, dass man die Unterschriftensammlung der ÖVP gegen
das Parkpickerl unterschätzt hatte. Es galt zu verhindern, dass sich
der Volkszorn der individuell Motorisierten über der roten
Rathaus-Riege ergießt. Da fiel zum Glück jemandem die
Brot-und-Spiele-Nummer mit der Olympia-Befragung ein, und schon war
die Sache geritzt. Die Entstehung dieser Wiener Volksbefragung ist
keine lokalpolitische Petitesse. Sie zeigt das politische
Selbstverständnis, in dem immerhin der amtierende Bundeskanzler und
seine engsten Vertrauten ihr Handwerk gelernt haben, und den Geist,
in dem sie es ausüben. Die Wiener SPÖ ist durchdrungen von der
Überzeugung, zu wissen, was für Wien und die Wiener gut ist - und sie
ist gleichzeitig ängstlich darauf bedacht, keinen Widerspruch
aufkommen zu lassen. Sie benutzt den Boulevard und lässt sich
benutzen, wenn es dem Machterhalt dient. Ein Umdenkprozess hat,
scheint's, durch die grüne Regierungsbeteiligung nicht stattgefunden.
Im Gegenteil - die Grünen haben sich mit dieser Volksbefragung, die
den Namen nicht verdient, in das System Rathaus einwickeln lassen.
Damit ist auch die rote Revanche für die Parkpickerl-Schmach perfekt.
Viele Grün-Wähler werden diese Form direkter Demokratie-Veräppelung
nicht goutieren. Das rot-grüne Kalkül mag kurzfristig aufgehen.
Langfristig nützt ein derart unernster Zugang zur Politik aber nur
radikalen (rechten) Gruppierungen und politischen Obskuranten.
Rückfragehinweis:
Der Standard, Tel.: (01) 531 70/445
Digitale Pressemappe: http://www.ots.at/pressemappe/449/aom
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