Allgemeine Zeitung Mainz: Kirche im Dorf lassen / Kommentar zu Preußlers Kinderbüchern
Geschrieben am 11-01-2013 |
Mainz (ots) - Der Sarotti-Mohr fordert schon längst nicht mehr zum
Schokoladen-Konsum auf, und auch der Abzählreim von den "Zehn kleinen
Negerlein" ist wie von allein aus dem Kinderalltag verschwunden. Der
Zeitgeist, der sich in der Regel ja zuerst im Sprachgebrauch
niederschlägt, verlangt nach anderer Wortwahl. Und wenn man sich die
Sünden der Vergangenheit ins Gedächtnis zurückruft, ist das ja auch
keineswegs nur von Übel. Die Art jedoch, wie inzwischen ganze
Hundertschaften selbst ernannter Sprachpuristen Filme, Broschüren und
Bücher nach politisch unkorrekten Formulierungen durchkämmen und dann
mit erhobenem Zeigefinger die Säuberung anmahnen, kann dem
unbefangenen Zeitgenossen schon Angst machen. Soeben sind die
lingualen Besserwisser gar in einem der harmlosesten
Kinderbuchklassiker weit und breit, in Otfried Preußlers 1957
erschienener "Kleiner Hexe", fündig geworden. Preußler beschreibt da
irgendwo den Fastnachtsstrubel im Hexendorf - und erspäht am Rande
des Umzugs auch zwei "Negerlein", die "nicht vom Zirkus" sind. Das
aber hätte er besser nicht getan. Auf Rassismus nämlich lautet jetzt
der Vorwurf. Und der Thienemann Verlag in Stuttgart, der Preußlers
Bücher verlegt, darunter so gefährliche Werke wie "Der Räuber
Hotzenplotz" und "Das kleine Gespenst", hat ziemlich umgehend
versprochen, bei der Neuauflage der "Kleinen Hexe" im Sommer die
inkriminierte Passage ersatzlos zu streichen: Bücher müssten
schließlich dem sprachlichen und politischen Wandel angepasst werden.
Müssen sie wirklich? Was die empfindsamen Kinderseelen ein halbes
Jahrhundert nicht aus der Bahn geworfen hat, ist plötzlich nicht mehr
tragbar? Wir sollten die Kirche im Dorf lassen - und ein bisschen
mehr Gelassenheit bewahren.
Pressekontakt:
Allgemeine Zeitung Mainz
Florian Giezewski
Regionalmanager
Telefon: 06131/485817
desk-zentral@vrm.de
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