Hagen (ots) - Die katholische Kirche steht nach der
kirchengeschichtlich fast einmaligen Rücktrittserklärung eines
amtierenden Papstes vor einer Zäsur. Joseph Ratzinger, der sich einen
einfachen Arbeiter im Weinberg des Herrn nannte, wird noch in diesem
Monat seinen Stuhl räumen - den Heiligen Stuhl. Welche Bedeutung
dieser ebenso überraschende wie souveräne Schritt hat, wird erst in
der Zukunft deutlich werden. Denn der belesene und bescheidene
Intellektuelle hat weit mehr als nur sein eigenes Pontifikat geprägt.
Er drückte der Kirche seit Jahrzehnten den Stempel auf - als
Konzilsberater, als wegweisender Theologe, als Wächter der
Glaubenskongregation und als engster Mitarbeiter des charismatischen
Johannes Paul II.
Wider die Windrichtungen des
ZeitgeistesZwei kleine Begegnungen mögen als
Beispiel dienen, welch besonderer Mensch und Geist da an der Spitze
der Kirche stand. Beim Weltjugendtag in Köln - er war gerade erst zum
Pontifex gewählt worden - blinzelte Joseph Ratzinger in die Sonne,
als er vom Rheinschiff aus tausende jubelnder Jugendlicher am Ufer
des Stromes sah. Schüchtern winkte er ihnen zu, als ob er der
kindlichen Zuneigung misstraute, die ihm da mit "Be-ne-det-to"-Rufen
entgegenhallte. Seine Skepsis war nicht unberechtigt, denn bald
erhoben sich kritische Stimmen gegen ihn, oft von wenig Sachkenntnis
getrübt oder mit unerfüllbaren Ansprüchen an eine nach Milliarden
zählende Glaubensgemeinschaft. Die zweite Szene datiert ein paar
Jahre früher im Paderborner Dom, wo er den verstorbenen Erzbischof
und Kardinal Johannes Joachim Degenhardt zum Grab geleitete. Die
Liturgie des Requiems und eine feinsinnige Predigt, die die große
Glaubenstreue des von den Nazis verfolgten Degenhardt heraushob,
zeigten die Charakterzüge des Ausnahmemenschen Ratzinger.
Unverbrüchliche Treue zur Tradition. Respekt vor dem Kulturgut einer
über Jahrhunderte gewachsenen Liturgie. Unbestechlichkeit und
Unverführbarkeit gegenüber allen Windrichtungen des Zeitgeistes. Ein
widerständiger Fels, wie es das Petrusamt
verlangt.
Sternstunden für GlaubenszweiflerSein
Geist ist so unabhängig, dass er auch Glaubenszweiflern Sternstunden
bescherte. Der Disput mit dem Philosophen Jürgen Habermas und die
drei Bände umfassenden Gespräche mit dem Skeptiker Peter Seewald
beweisen, dass dieser Mann sehr viel von der Welt versteht, aber
niemals von dieser Welt sein wollte. Sein ganzes Leben legt Zeugnis
davon ab, dass nach seiner Überzeugung der Mensch menschenwürdig nur
sein kann, wenn er sich als Gottes Geschöpf versteht. Der Mensch, das
einte die Gedankenwelt von Karol Wojtyla und Joseph Ratzinger,
versündigt sich, wenn er unter seinen eigenen moralischen
Möglichkeiten bleibt.
Es mögen die Kritiker, die Stillstand
und sogar Rückschritt bei Benedikt XVI. beklagen, womöglich Recht
haben. Dennoch erfassen sie das Eigentliche, Unverwechselbare dieses
Pontifikats nicht, geschweige denn das Besondere dieses Menschen. Er
wollte der Welt zeigen, dass sie nicht um ihrer selbst willen da ist,
sondern um ein Abglanz der Herrlichkeit Gottes zu sein. Das ist ein
so sperriger und unmoderner Gedanke, dass nur religiös sehr
musikalische Menschen ihn erfassen können. Die Gutmeinenden stehen
staunend davor. Und vor der großen Geste, mit der dieser einfache
Arbeiter abtritt.
Wahrlich eine Zäsur.
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