Künftige Führungselite zweifelt an staatlicher Handlungsfähigkeit / Entscheider-Studie des Deutschen Instituts für Vertrauen und Sicherheit im Internet (DIVSI) vorgestellt
Geschrieben am 28-02-2013 |
Bonn/Hamburg (ots) - 28. Februar 2013 - DIVSI hat heute in Berlin
seine "Entscheider-Studie zu Vertrauen und Sicherheit im Internet"
vorgestellt. In 1.221 Interviews wurden dazu führende Repräsentanten
aus Wirtschaft, Politik, Öffentlichem Dienst, Zivilgesellschaft,
Medien sowie Wissenschaft und Forschung befragt. Die bundesweit
repräsentative Untersuchung entstand in Zusammenarbeit mit dem
renommierten Heidelberger SINUS-Institut auf wissenschaftlicher
Basis.
Neben rein faktischen Informationen liefert die Studie auch
Hinweise darauf, dass in Deutschland ein größerer gesellschaftlicher
Umbruch im Gange ist. Diese Erkenntnis drängt sich vor dem
Hintergrund von Antworten der künftigen Elite unter den Entscheidern
auf. Die "Digital Souveränen" - die Avantgarde - bekunden nämlich im
Vergleich zu allen anderen Interviewpartnern im Hinblick auf die
Gestaltung des Internets das geringste Vertrauen in das politische
System und unseren Rechtsstaat.
Grundsätzlich liefert die DIVSI Entscheider-Studie Antworten auf
eine Fülle bislang offener Fragen: Wie denken Entscheider über das
Internet? Welchen Akteuren schreiben sie welche Verantwortung und
welche Einflussmöglichkeiten zu? Wie schätzen sie die Nutzer ein, was
sagen sie zu Sicherheits- und Freiheitsbedürfnissen? Die Studie
verdeutlicht also erstmals, wie diejenigen über das Internet denken,
die wesentlich die Spielregeln gestalten und öffentliche
Meinungsbilder prägen.
Frühere Untersuchungen - so auch die Anfang 2012 vorgestellte
"DIVSI Milieu-Studie zu Vertrauen und Sicherheit im Internet" -
betrachteten den fortschreitenden Digitalisierungsprozess
ausschließlich aus der Nutzerperspektive. Die Entscheider-Studie
setzt mit einem anderen Blickwinkel an - es stehen diejenigen im
Fokus, die Führungsverantwortung tragen. Nie zuvor wurden Fragen nach
der Verantwortung für das Internet, nach dem Gestaltungsmandat derart
ausführlich untersucht.
Durch die neue DIVSI Studie ist es gelungen, auch die Entscheider
jeweils einem Internet-Milieu zuzuordnen. Die Untersuchung ermöglicht
so einen Überblick darüber, in welchen digitalen Lebenswelten diese
Personen angesiedelt sind. Sie umreißt ihre grundlegenden Haltungen
gegenüber dem Internet sowie ihre Anforderungen bezüglich Vertrauen
und Sicherheit im Netz. Am häufigsten sind unter den Entscheidern mit
je 22 Prozent das Milieu der "Digital Souveränen" (die digitale
Avantgarde mit individualistischer Grundhaltung) sowie die
"Sicherheitsbedachten Postmateriellen" (selektive Internet-Nutzer mit
kritischer, aber offener Grundhaltung gegenüber dem Internet)
vertreten.
Bei der Milieu-Zuordnung der Entscheider im Vergleich zur
Gesamtbevölkerung gibt es signifikante Unterschiede. Die Masse der in
Deutschland lebenden Menschen wird durch digitale Gräben in Blöcke
geteilt. Bei den Entscheidern versanden diese Gräben bereits. Grund
hierfür: 45 Prozent sind Digital Natives, 38 Prozent Digital
Immigrants, nur 17 Prozent Digital Outsiders (gegenüber 39 Prozent in
der Bevölkerung). Die Digital Outsiders unter den Entscheidern
zeichnen sich dabei nicht primär durch komplette
"Internet-Verweigerung" aus (nur 0,2 Prozent Entscheider sind
Offliner, in der Bevölkerung 20 Prozent).
Insgesamt zeigt die DIVSI Studie, dass es bei Entscheidern viel
mehr Digital Natives gibt als angenommen. Diese Gruppe hat sich
bereits als Mainstream etabliert. Jeder dritte der "Digital
Souveränen" unter den Entscheidern gehört zur Generation 50plus.
Dadurch wird klar, dass ein erweitertes Verständnis von Digital
Natives nötig ist. Es sind nicht mehr nur die "jungen Wilden". Die
digitale Lebenswelt hat sich in den Führungsetagen etabliert.
Faktisch liefert die DIVSI Entscheider-Studie folgende wesentliche
Erkenntnisse:
Die Wirtschaft macht das Netz
Nach Ansicht der Entscheider wird das Internet vor allem durch die
Wirtschaft dominiert. Insbesondere die großen, global agierenden
Internet-Dienstanbieter gelten als Hauptakteure, die
Basis-Anwendungen in erheblichem Maße bestimmen. 70 Prozent der
Entscheider sehen überdies Machtkonzentrationen der globalen Player
als Risiken im Netz. Die Politik wird dagegen nicht als relevanter
Akteur wahrgenommen.
Risikoverursacher im Netz sind Hacker, globale
Internet-Dienstleister und unbedachte Nutzer Eine Garantie, vor
Hackerangriffen geschützt zu sein, wird als vollkommen unmöglich
betrachtet. Strategien, die einen (maximal temporären) Schutz
gewährleisten, müssen regelmäßig überprüft und ständig aktualisiert
werden.
Sicherheit im Internet ist ein Top-Thema - aber eine Illusion 68
Prozent der Entscheider sind davon überzeugt, dass technische Systeme
immer nur eine Teil-Sicherung gewährleisten können und ein Restrisiko
bleibt. Sie sind überwiegend der Ansicht, dass wir uns an einen
freieren Umgang mit Daten im Internet gewöhnen müssen (60 Prozent).
Hauptverantwortung liegt beim Nutzer, doch der kennt sich nicht
aus Entscheider empfehlen dem Nutzer, sich vor allem auf Bildung und
die eigene Erfahrung zu verlassen, denn die Verantwortung kann ihm
niemand abnehmen. Auch Rat von unabhängigen Institutionen und
Experten gilt den Entscheidern als relevant; weniger verlassen
sollten sich die Nutzer jedoch auf das deutsche Rechtssystem und die
Internet-Gemeinde.
Es gibt kein Offline-Leben mehr
Die Entscheider sind mehrheitlich überzeugt, dass die
Unterscheidung von online und offline bald obsolet ist. 64 Prozent
meinen, dass es in der Zukunft nicht mehr möglich sein wird, komplett
offline zu sein. Die Technologien werden sich aus ihrer Sicht so weit
vereinfachen, dass die Nutzung verschiedener Geräte immer weniger
digitales Grundlagenwissen, generelles Technikverständnis oder
Feinmotorik voraussetzen. Außerdem werde sich das Phänomen des real
existierenden Offliners von allein "auswachsen", denn Menschen werden
in Kürze nicht mehr "ins Internet gehen", weil ohnehin immer mehr
Prozesse des Alltags online gesteuert sind.
Warum hat DIVSI die Entscheider-Studie initiiert? DIVSI Direktor
Matthias Kammer: "In zahlreichen Diskussionen haben wir festgestellt,
dass eine Fragestellung bislang stets ungeklärt war - Wie denken und
agieren die Entscheider in Deutschland? Hierzu wollten wir Antworten
finden. Ich bin überzeugt, dass uns dies gelungen ist. Und ich halte
die Erkenntnis, dass die Digital Souveränen wenig Vertrauen in unser
System bekunden, für einen äußerst wichtigen Hinweis. Vielleicht sind
hier bereits Strömungen im Fluss, die bislang unerkannt geblieben
sind. Repräsentanten unseres Rechtsstaates sollten angesichts solcher
Skepsis dem System gegenüber aufmerken. Denn letztlich geht es nicht
allein darum, dass ihnen in Sachen Internet-Gestaltung nichts
zugetraut wird."
Was leistet die Studie? SINUS Projektleiterin Dr. Silke Borgstedt:
"Mit unserer Untersuchung rücken wir die Akteure in den Fokus, die im
Netz nicht nur mitspielen, sondern maßgeblich die Spielregeln
bestimmen. Transparenz ist ein Schlüsselbegriff im Netz-Diskurs, denn
Online-Strukturen durchdringen immer mehr Bereiche unseres Alltags.
Daher ist es wichtig, dass nicht nur Entscheider wissen, was die
Nutzer im Netz machen, sondern auch die Nutzer wissen, was sie
eigentlich von den Netzmachern zu erwarten haben."
Die DIVSI Entscheider-Studie ist im Internet auf www.divsi.de
downloadbar.
Pressekontakt:
Für Rückfragen: Joachim Haack, Tel. 0172/451 14 73
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