Schwäbische Zeitung: Auf dem Rücken einer Minderheit - Kommentar zu Friedrich
Geschrieben am 07-03-2013 |
Ravensburg (ots) - Ein Denkmodell: Man stelle sich vor, ein
Politiker würde hierzulande laut darüber nachdenken, inwiefern der
Zuzug osteuropäischer Juden die Sozialkassen belastet. Er müsste sich
Sorgen um seine Karriere machen, und das zu Recht. Stellt er dieselbe
Rechnung für Zuwanderer aus Rumänien und Bulgarien auf, und meint er
damit Roma, bleibt der Aufschrei aus. Aber wer sollte auch schreien?
Diese Minderheit hat in keinem Land der Europäischen Union eine
Lobby. Nicht in Frankreich, nicht in Spanien. Und in einigen
EU-Ländern wie Ungarn und Rumänien scheint es zum guten Ton zu
gehören, sich abfällig über diese Bevölkerungsgruppe zu äußern. Umso
bedenklicher ist es, wenn nun auch deutsche Politiker Wahlkampf auf
dem Rücken dieser Menschen betreiben. Zwar wird ganz allgemein von
Bulgaren und Rumänen gesprochen, aber jedem ist doch klar, dass damit
Roma gemeint sind.
Die Kommunen haben vor Kurzem an Bund und Länder appelliert, sie
nicht mit der wachsenden Zahl von Zuwanderern aus Osteuropa alleine
zu lassen. Ihre Angst vor finanzieller Überforderung ist
verständlich, denn in vielen Kassen ist jetzt schon Ebbe. Dass
Innenminister Hans-Peter Friedrich diese Besorgnis nun nutzt, um auf
europäischer Ebene den Beitritt Bulgariens und Rumäniens zum
Schengen-Raum zu verhindern, mag im Sinne deutscher Interessen
politisch legitim sein. Aber wie passt diese Kleinstaaterei zum
europäischen Gedanken?
Brüssel schaut seit Jahren zu, wie sich die Lebensverhältnisse der
Roma-Minderheit in den osteuropäischen Mitgliedsländern
verschlechtert haben. Die rund 600 000 Roma im EU-Land Ungarn haben
im Durchschnitt eine zehn bis 15 Jahre kürzere Lebenserwartung als
andere Ungarn. In Serbien wird nur einer von 100 älter als 60 Jahre.
Im EU-Mitgliedsstaat Bulgarien sind 90 Prozent der Roma arbeitslos.
Würde sich Innenminister Friedrich mit der gleichen Kraft für bessere
Lebensverhältnisse in Osteuropa einsetzen, wie er jetzt gegen
Sozialmissbrauch in Deutschland kämpft, was wäre er doch für ein
vorbildlicher bayerischer Löwe.
Pressekontakt:
Schwäbische Zeitung
Redaktion
Telefon: 0751/2955 1500
redaktion@schwaebische-zeitung.de
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