Stuttgarter Zeitung: Eine überfällige Öffnung / Leitartikel zur Papstwahl
Geschrieben am 13-03-2013 |
Stuttgart (ots) - Nach 35 Jahren der Gesamtära Wojtyla-Ratzinger
haben die "Brüder Kardinäle", als die sie der neue Papst titulierte,
anscheinend wieder einen aus der alten Zeit geholt - anstatt nach
vorne zu schauen. Keinen lächelnden, charismatischen Jungen - wie
etwa den Filippino Luis Antonio Tagle -, sondern einen steifen,
ergrauten Hierarchen. Und einen, der vor acht Jahren schon hätte
Papst werden können, wäre damals Joseph Ratzinger nicht so stark
gewesen. Ist denn die Zeit stehen geblieben? Wo bleiben die neuen
Impulse, welche die katholische Kirche so dringend braucht?
Seine ersten Akzente hat er durchaus gesetzt. Schüchtern,
ungelenk, besorgt. Aber sie waren sichtbar. Für den allerersten
Akzent allerdings kann Bergoglio nichts: Er ist Lateinamerikaner, der
Erste aus diesem Teil der Welt im Amt des Papstes. Und eine Öffnung
zu diesen Teilen der Welt, in denen die katholische Kirche wächst,
war in der Tat überfällig. Die Eurozentrik, die unter Benedikt XVI.
noch einmal zugenommen hatte, musste aufgebrochen werden.
Dass er Aufbrüche anstrebt, hat der neue Papst schon in der sehr
programmatischen Wahl seines Namens kundgetan: Den Mut, in der
zweitausend Jahre alten Kirchengeschichte eine ganz neue Namensreihe
aufzumachen, hatte schon lange niemand mehr gehabt. "Franziskus", das
ist der Heilige des einfachen Volkes, der die mittelalterliche, in
Macht veräußerlichte Kirche durch Rückkehr zu einem "armen", aber
intensiven Glauben herausforderte. Dass Bergoglio selber in Buenos
Aires fern vom erzbischöflichen Palast ohne jeden Prunk lebte, dass
er sein Essen selber kochte und mit Fahrrad oder Linienbus durch die
Gegend fuhr, war schon lange ein Zeichen für diese persönlich
glaubhaft vorgelebte Gegenposition.
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