Westdeutsche Zeitung: Präsident Mursi hat das Land am Nil tief gespalten =
von Anja Clemens-Smicek
Geschrieben am 30-06-2013 |
Düsseldorf (ots) - Kein Ort schien vor einem Jahr besser geeignet,
die ägyptische Zeitenwende zu symbolisieren als der Tahrir-Platz in
Kairo. Bedeutet er doch auf Arabisch so viel wie "Befreiung". Diese
Hoffnung der Menschen hatte Mursi an die Macht gespült. Demokratie
statt Diktatur lautete die Losung. Doch zwölf Monate nach Mursis
Amtsantritt kann von einem prosperierenden Ägypten nicht die Rede
sein. Von seinem Versprechen, der "Präsident aller Ägypter" zu sein,
ist nichts übrig geblieben. Tief gespalten steht das Land am Nil am
Rande eines Bürgerkriegs. Nun kann man den Ägyptern nicht einmal
einen Vorwurf machen, dass sie vor einem Jahr einen Mann wählten, den
sie heute zum Teufel jagen wollen. Euphorisiert vom Gedanken,
erstmals frei wählen zu dürfen, waren sie in die über Jahre
ausgelegte Falle der Muslimbrüder getappt. In der Ära Mubarak hatten
die Islamisten ein soziales Netzwerk aufgebaut und sich als Retter
der Armen gezeigt - um von ihren wahren Absichten abzulenken: Ägypten
einmal zu einer "Islamischen Republik" zu machen. Da sind sie leider
auf einem guten Weg. Von Demokratie halten sie nichts, sie haben
keine Idee, wie sie das bankrotte Land aus der Krise führen wollen.
Einen Vorwurf kann man dem Westen machen, der sich still und leise
mit den Machthabern arrangiert hat. Weil Ägypten als
Stabilitätsfaktor und Vermittler in einer brandgefährlichen Region
gilt. Die Staatengemeinschaft will nicht zugeben, dass sie ein
ernstes Problem hat mit all diesen jungen vermeintlichen Demokratien,
die aus dem Arabischen Frühling hervorgegangen sind. So wird nur
zwischen "gemäßigten" und "radikalen" Islamisten unterschieden.
Partner auf Augenhöhe sind weder die einen noch die anderen. Dennoch
pumpt allein die EU Milliarden Euro in die Verbesserung der
Demokratie und die Einhaltung der Menschenrechte in Ägypten. Auch
dunkle Kanäle werden sich wohl über den Geldsegen freuen. Ein Sturz
Mursis oder Neuwahlen dürften aber kaum die Rettung bringen. Die
Opposition hat bislang keine Persönlichkeit hervorgebracht, die die
Probleme in den Griff und die Spaltung der Gesellschaft überwinden
könnte. So trudelt Ägypten immer weiter in Richtung Abgrund. Der
Arabische Frühling ist direkt in einen tiefen Winter übergegangen.
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