Mittelbayerische Zeitung: Leitartikel von Andreas Brey zu Doping
Geschrieben am 24-07-2013 |
Regensburg (ots) - Diese Liste ist wie ein Sommergewitter, das
sich nach einer quälend langen Hitzewelle urplötzlich entlädt. Der
Bericht der Anti-Doping-Agentur des französischen Senats spült alte
Helden von den Sockeln, auf die sie vor vielen Jahren - mit Hilfe
leistungssteigernder Mittel - geklettert waren. Auch die
erfolgreichsten deutschen Fahrer aller Zeiten, Jan Ullrich und Erik
Zabel, stehen auf der Liste der Betrüger der Skandaltour von 1998.
Zum Glück auch sie! Denn der Fall zeigt, dass sich niemand sicher
sein kann. Selbst Volkshelden, selbst 15 Jahre später nicht. Die
Beweise kommen zwar spät, jedoch nicht zu spät. Denn wer ein Problem
lösen will, der muss sich zunächst eingestehen, dass es existiert.
Die Omerta, das Gesetz des Schweigens, ist das heiligste aller
ungeschriebenen Gesetze des Pelotons. So lange es noch gilt, so lange
werden wir Zuschauer nie wissen, ob wir nicht doch betrogen werden.
Leider! Und eben hier liegt der Hauptgrund dafür, dass der Radsport
noch immer im Dopingsumpf steckt. Wer verstehen will, wie es so weit
kommen konnte, dass eine ganze Sportart unter permanenten
Generalverdacht gerät, muss jedoch viel weiter zurückblicken als bis
zur Tour 1998. Denn die Dopingunkultur im Radsport ist fast so alt
wie die 100-jährige Geschichte seines berühmtesten Rennens. Aufgrund
der zum Teil unmenschlichen Belastungen greifen die Fahrer von Beginn
an zu leistungssteigernden Mitteln. Kokain, Chloroform, Koffein und
Alkohol werden in den 60er- und 70er-Jahren von Amphetaminen
abgelöst. Hustenbonbons im Vergleich zu dem, was noch kommen wird.
Obwohl die Etappen - vor allem bei den großen Rundfahrten durch
Italien, Frankreich und Spanien - immer anspruchsvoller werden,
erreicht das Feld ständig neue Rekordzeiten. Nur weil mit Cortison,
Steroiden und Testosteron gedopt wird, ist das möglich. "Wir waren
jung und unbekümmert", sagt der zweifache Tour-Sieger Laurent Fignon
Jahre später. Auf dem Krankenbett - vom Krebs, für den er dann das
jahrelange Doping verantwortlich macht, gezeichnet - gesteht Fignon
die Einnahme verbotener Substanzen. Der Franzose bezahlt einen teuren
Preis für seine vermeintliche Jugendsünde. Doch warum greift niemand
ein? Weil der Sport von innen heraus verseucht ist. Ehemalige Fahrer,
die vom Sattel in die Begleitfahrzeuge gewechselt sind, wollen ihr
Stück vom Kuchen haben. Ohne den Belgier Johan Bruyneel, einen mit
allen Wassern gewaschenen Ex-Profi, hätte es beispielsweise den
siebenfachen Toursieger Lance Armstrong nie gegeben. Gemeinsam
entwickelten sie das größte Sportbetrugssystem der Welt. Mittlerweile
ist es aufgeflogen, der Supermann abgestürzt. Gerne würde ich deshalb
den jungen Fahrern zurufen: "Denkt daran, dass es auch eine Zeit nach
eurer Karriere geben wird. Es wäre tragisch, wenn ihr dann nichts
habt, worauf ihr stolz zurück könnt!" Geld verdirbt bekanntlich den
Charakter. In unserem Fall den Sportler. Radrennen sind einfach, das
Prinzip archaisch. Das Wesen des Wettbewerbs besteht darin, vor den
anderen das Ziel zu erreichen. Die Fans sind gefesselt von diesen
Duellen - Mann gegen Mann. Gerade deshalb ist die Tour de France nach
der Fußball-WM und den Olympischen Spielen das drittgrößte
Sportereignis der Welt. Mehrere 100 Millionen TV-Zuschauer in 190
Ländern schauen Jahr für Jahr wieder zu - trotz des
Damokles-Schwertes Doping, das über jeder Tour hängt. Sport ist
Spektakel, befeuert durch neue, schier übermenschliche Leistungen.
Zuschauer und Sponsoren trifft daher eine Mitschuld. Immer höher,
schneller, weiter. Ein Problem, unter dem der gesamte Leistungssport
leidet. Um ständig neue Rekorde zu produzieren, wird in den
Dopingküchen fleißig gekocht. Egal ob Radfahrer, Schwimmer oder
Leichtathlet - sie bedienen sich alle aus dem gleichen Angebot der
Doping-Mafia. Auf Epo, das Wundermittel der 90er, folgt
Eigenblutdoping. Für die neuen Designer-Steroide gibt es keinen Test.
Genau aus diesem Grund hecheln die Doping-Kontrolleure vergeblich
hinterher. Der aktuelle Fall zeigt, wie erschreckend weit. Es ist ein
Teufelskreis, in dem sich der Leistungssport befindet. Durchbrochen
könnte er nur durch ein breites Bündnis aus Sportlern, Funktionären,
Sponsoren und letztendlich auch der Zuschauer werden. Wir alle
müssten lernen, den Sport wieder als das zu lieben, was er eigentlich
sein sollte. Ein fairer Wettstreit, bei dem am Ende der beste Athlet
gewinnt. Angesichts der vielen Lügner, die der jüngste Dopingfall nun
wieder entlarvt hat, fällt es jedoch schwer, daran zu glauben.
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