neues deutschland: Historiker Gentile bedauert späte Bereitschaft, NS-Verbrechen aufzuarbeiten
Geschrieben am 11-08-2013 |
Berlin (ots) - Nie war die Bereitschaft in der deutschen
Nachkriegsgesellschaft höher als heute, NS-Verbrechen aus dem Zweiten
Weltkrieg zu verfolgen. Weitere Urteile wie im Fall Josef
Scheungraber, der wegen der Ermordung von Zivilisten im italienischen
Falzano di Cortona im Juni 1944 als Wehrmachtssoldat in München
verurteilt worden ist, sind aber kaum zu erwarten, meint der
Historiker Carlo Gentile. "Auch wenn die Gesellschaft jetzt viel eher
bereit ist, diese Verbrechen zu verfolgen und vor Gericht zu bringen,
geschieht dies mit einem juristischen Instrumentarium, das keine den
Dimensionen und der Natur der NS-Verbrechen angemessene rechtliche
Grundlage bildet. Wir kommen leider zu spät und mit stumpfen Waffen",
so Gentile im Interview mit der in Berlin erscheinenden Tageszeitung
"neues deutschland (Montagausgabe).
Der an der Universität zu Köln tätige Geschichtswissenschaftler
hat bei einer Vielzahl von Ermittlungsverfahren in Italien und
Deutschland als Sachverständiger mitgewirkt. Er warnt davor, die
Bedeutung der NS-Kriegsverbrechen im heutigen Italien zu
unterschätzen. "Zehntausend Zivilisten wurden zwischen Sommer 1943
und Frühjahr 1945 von deutschen Soldaten ermordet", so Gentile. Dazu
komme ein weiterer Aspekt: "Die psychologischen Ausmaße solcher
Massenverbrechen sind enorm. Wenn die Eltern oder andere enge
Angehörige getötet worden sind, ist das für die Überlebenden eine
existenzielle Frage."
Als Experte für den Partisanenkampf und NS-Verbrechen arbeitete
Gentile auch in der deutsch-italienischen Historikerkommission mit.
Sie empfahl den Regierungen von Deutschland und Italien in ihrem
Abschlussbericht u.a. die Einrichtung einer Gedenkstätte für die
italienischen Militärinternierten in Berlin Niederschöneweide. "Das
ist erinnerungspolitisch sehr wichtig und es ist von Bedeutung, dass
dies in Schöneweide geschieht, wo noch Originalgebäude eines
Zwangsarbeiterlagers existieren", ist der Historiker überzeugt. Nach
Informationen des Auswärtigen Amtes, die "nd" vorliegen, soll ab 2014
eine Dauerausstellung als Teil der Gedenkstätte zur NS-Zwangsarbeit
in Berlin Niederschöneweide und als Ort des Gedenkens eingerichtet
sein.
--
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neues deutschland
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