Mittelbayerische Zeitung: Der Faktor Angst - Die SPD hat ihre letzte Chance auf einen
Stimmungsumschwung präsentiert bekommen. Von Christian Kucznierz
Geschrieben am 22-08-2013 |
Regensburg (ots) - Es gibt eine neue Komponente im Wahlkampf der
Unionsparteien. Eigentlich war sie schon die ganze Zeit vorhanden,
nur hat sie fast niemand bemerkt vor lauter kraftstrotzender
Zuversicht, staatstragendem Verantwortungsbewusstsein und präsidialer
Haltung. Aber nun ist sie da: die Angst. Sie hat sogar einen Namen:
Griechenland. Es ist bezeichnend, dass die Koalitionsparteien die
Erwähnung Griechenlands gemieden haben. Die Krise ist kein Top-Thema
im laufenden Wahlkampf, und das obwohl eine kürzlich veröffentlichte
Umfrage belegte, was eigentlich alle wussten: Die Bürger glauben sehr
wohl, dass die Krise sie noch lange beschäftigen wird. Dass sie um
ihr Erspartes fürchten, um ihre Altersversorgung. Und dass sie
bemängeln, die Parteien würden diese Ängste nicht aufgreifen.
Zumindest bislang nicht. Diese Woche war dann auf einmal alles
anders. Fast zeitgleich haben Ex-SPD-Bundeskanzler Gerhard Schröder
und CDU-Finanzminister Wolfgang Schäuble erkannt, dass es mit dem
nach wie vor ungelösten Griechenlandthema einen hässlichen Fleck im
Hochglanzwahlkampf der Union gibt. Schröder hat der Bundesregierung
vorgeworfen, die Gefahr zu verschleiern. Das stimmt zwar nur so halb.
Seitens der Bundesregierung ist nie ausgeschlossen worden, dass Athen
weiteres Geld benötigen könnte. Man hat es nur nie so offen gesagt.
Schäuble hat das jetzt getan, allerdings aus einem anderen Grund als
Schröder. Der Finanzminister wollte den Patienten über die
schmerzhafte Operation aufklären, Schröder, dass man dem Operateur
misstraut. Das Ergebnis ist ein und dasselbe: Der Patient ist
beunruhigt. Und genau das darf er in den Augen der Union nicht sein.
Die CDU ist Angela Merkel, und traut man den Umfragen, so ist Angela
Merkel für die Bürger gleichbedeutend mit Stabilität: Sie kennt sich
in allen Bereichen aus. Sie denkt mehr, als sie redet, weswegen sie
nie etwas Falsches sagt, aber im entscheidenden Moment das Richtige
tut. Nur: Was, wenn diese Fassade bröckelt? Und das könnte geschehen,
wenn Griechenland doch wieder Geld braucht. Hätten nicht plötzlich
alle Recht, die Frau Doktor Merkels Rezepte gegen die europäische
Krankheit als Scharlatanerie abgetan haben? Zumindest würde genau
diese Frage gestellt werden. Und das gerade einmal vier Wochen vor
der Wahl. Eine Katastrophe. Zumal auch keine Ablenkung in Sicht ist.
Im Konrad-Adenauer-Haus wird man insgeheim froh gewesen sein über die
Euro Hawk- und die NSA-Affäre, weil sie doch nur an der Oberfläche
kratzten. Nun aber geht es ums Eingemachte, die Urängste der
Deutschen: um den möglichen Verlust ihres Wohlstandes. Die Union hat
versucht, das Feuer auszutreten. Und doch qualmt es noch über der
Asche. Die SPD ist lange Zeit zu Recht belächelt worden. Der Start in
den Wahlkampf war überstürzt. Das Programm passte nicht zum
Kandidaten, der seine Beinfreiheit zu lange dafür nutze, um die
Abstände von einem Fettnäpfchen zum anderen zu messen. Aber das
heitere SPD-Bashing ist zu einer ungerechtfertigten Routine
verkommen. Die SPD hat ein Programm, mit dem man sich durchaus
auseinandersetzen könnte. Sie hat einen Spitzenkandidaten, der bei
aller oft selbstverliebten Sturheit als Finanzminister bewiesen hat,
dass er etwas kann und jetzt wirklich für seine Wahl kämpft.
Steinbrück und seine Partei haben die vielleicht letzte Chance auf
den Stimmungsumschwung präsentiert bekommen, an den lange Zeit nur
sie selbst geglaubt haben. Schafft Steinbrück es, die Angst am Leben
zu halten bis zum TV-Duell mit der Kanzlerin am 1. September, ist das
Rennen offener, als lange gedacht.
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Mittelbayerische Zeitung
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