Globale Automobilindustrie bleibt langfristig Wachstumsmarkt / "State of the Automotive Industry 2013" von Oliver Wyman
Geschrieben am 29-08-2013 |
München (ots) -
- Internationalisierung hat für OEMs weiterhin Toppriorität als
Ausgleich für langfristig schwache EU-Märkte
- Komplexitätsreduzierung, Produktivitätssteigerung und
Neuaufstellung im Vertrieb senken nachhaltig Kosten
- Klare strategische Ausrichtung und schnelle Adressierung aller
Herausforderungen eröffnen weitreichende Chancen
Die weltweite Automobilindustrie verändert sich nachhaltig und
wird dies auch in den kommenden Jahren tun. Internationalisierung,
Kostendruck, Zyklizität und die Verschiebung des klassischen
Autogeschäfts in Richtung intelligenter Serviceangebote durch neue
Mobilitätstrends bringen alle OEMs in Zugzwang. Es gilt,
Marktpotenziale konsequent zu erschließen, Kosten zu senken,
flexibler auf konjunkturelle Schwankungen zu reagieren und die
Schnittstelle zum Kunden langfristig abzusichern. Zugleich droht ein
Nachlassen des Wirtschaftsbooms in China. Dennoch zögern viele
Autobauer, ihre Geschäftsmodelle konsequent anzupassen. Sie haben
eine Reihe von Hausaufgaben zu erledigen, um für die Zukunft optimal
aufgestellt zu sein. Dies sind Ergebnisse der Oliver
Wyman-Untersuchung "State of the Automotive Industry 2013".
Die Automobilindustrie ist zunehmend gespalten. Während global
aufgestellte Volumenhersteller wie GM und Toyota und die deutschen
Autobauer in Rekordzeit aus der Krise gefahren sind, stecken
regionale Marken wie Opel, Fiat und die französischen Hersteller in
teilweise existenzbedrohenden Schwierigkeiten. Bei diesen Unternehmen
beeinträchtigt die schlechte Auslastungssituation der Werke die
aktuelle Ertragslage, was nicht zuletzt den finanziellen
Gestaltungsspielraum einschränkt, der zur Investition in neue
Produkte, Technologien und Geschäftsmodelle nötig ist. Die positive
Entwicklung bei den erfolgreichen OEMs wiederum hängt stark mit dem
Automobilhoch in China zusammen. So verkaufte beispielsweise der
Volkswagen-Konzern im ersten Halbjahr 2013 knapp 35 Prozent aller
neuen Fahrzeuge auf dem chinesischen Markt. Ein Ende des Booms
scheint allerdings absehbar. So senkte das IWF seine Prognose für das
Wirtschaftswachstum in China 2013 jüngst auf unter acht Prozent.
Gleichzeitig steht die gesamte Autobranche vor enormen
Herausforderungen. Immer strengere Umweltgesetze sowie höhere
Sicherheitsanforderungen treiben die Produktkosten in die Höhe, ohne
dass der Kunde bereit ist, für sein Fahrzeug mehr zu bezahlen.
Überkapazitäten führen zu einem teilweise ruinösen Preiswettbewerb in
vielen Märkten und stark rückläufigen Margen. Gleichzeitig entstehen
neue Geschäftsfelder wie alternative Mobilitätsangebote und vernetzte
Fahrzeuge, in denen sich die Automobilindustrie mit völlig neuen
Wettbewerbern wie Google oder Apple auseinandersetzen muss. Darüber
hinaus wird in Zukunft der Onlineverkauf von Neufahrzeugen den
Vertrieb der Hersteller vor große Herausforderungen stellen. "Noch
mangelt es vielen OEMs an der nötigen Konsequenz, ihre
Geschäftsmodelle an die veränderten Bedingungen eines immer reifer
werdenden Markts anzupassen", erklärt August Joas, Partner bei Oliver
Wyman und Leiter der globalen Automotive Practice. "Die Unternehmen
müssen die kommenden zwei bis drei Jahre intensiv nutzen, um sich für
die Zukunft optimal aufzustellen."
Weitere Internationalisierung ist Pflicht
Die europäischen Kernmärkte verlieren als Absatzregion immer
weiter an Bedeutung. Im ersten Halbjahr 2013 wurden in der EU nur
noch 6,2 Millionen Autos abgesetzt, ein Rückgang von nochmals fast
sieben Prozent gegenüber der schwachen ersten Jahreshälfte 2012.
Westeuropa verzeichnete damit die niedrigsten Absatzzahlen seit 1993.
Allerdings entwickeln sich die Märkte stark unterschiedlich.
Großbritannien erreichte im ersten Halbjahr 2013 ein Plus von zehn
Prozent, in Italien und Spanien kam es zu einem Rückgang von zehn
beziehungsweise elf Prozent. In Deutschland lagen die Verkaufszahlen
mehr als acht Prozent unter dem vergleichbaren Vorjahreszeitraum. Das
Wachstum kommt aus Übersee: Neben China mit fast 20 Prozent mehr
verkauften Autos im ersten Halbjahr kann auch Nordamerika höhere
Absatzzahlen vorweisen. Dort belief sich das Plus in den ersten sechs
Monaten auf 7,5 Prozent; für das Gesamtjahr wird mit 18,2 Millionen
Fahrzeugen ein Sechsjahreshoch erwartet.
Für Autobauer, die an den Wachstumsmärkten partizipieren möchten,
ist eine Internationalisierung des Geschäfts mit lokalen
Produktionskapazitäten unerlässlich. Zölle,
Local-Content-Anforderungen und andere Handelsbarrieren erschweren
den Export aus Europa zunehmend. "Internationalisierung muss
eindeutig auch weiterhin Toppriorität aller Automobilhersteller
sein", betont Fabian Brandt, Partner und Automobilexperte bei Oliver
Wyman. "China spielt dabei eine zentrale Rolle. Allerdings besteht
die Gefahr, dass der anhaltende China-Hype die Wachstumschancen in
anderen Regionen überdeckt." Die Expansion ist mit erheblichem
Aufwand verbunden. Die Autohersteller müssen dafür sorgen, dass ihre
Marke in der jeweiligen Region optimal positioniert und die
Netzinfrastruktur tragfähig ist. Darüber hinaus müssen fast alle OEMs
an der Steigerung der Rendite pro Fahrzeug arbeiten, die oftmals
deutlich geringer ist als in den traditionellen Märkten.
Marktpotenziale konsequent erschließen
Angesichts rückläufiger Absatzzahlen in vielen Märkten und
sinkender Preise bietet die starke Fokussierung der Autohersteller
auf das Neufahrzeuggeschäft vielfach nicht mehr ausreichende
Wachstumsmöglichkeiten. Allerdings macht dieses Geschäft nur etwa 50
Prozent der Gesamtinvestition aus, die ein Kunde für automobile
Mobilität tätigt - Benzinkosten dabei nicht eingerechnet. Die andere
Hälfte umfasst Finanzierungs- und Versicherungsangebote,
Wartungs-/Reparaturgeschäft und Zubehör sowie den
Gebrauchtwagenhandel. Hier nutzen viele OEMs die bestehenden
Potenziale bisher nur unzureichend. So sind beispielsweise lediglich
rund 55 Prozent des europäischen Werkstattgeschäfts in der Hand der
Autobauer, beim Gebrauchtwagenhandel sind es sogar weniger als 50
Prozent. "Die Autoindustrie kann es sich künftig nicht mehr leisten,
die Hälfte des Kuchens anderen zu überlassen", betont Brandt. " Die
Potenziale jedes Kunden entlang der gesamten Wertschöpfungskette
müssen besser genutzt werden." Die Chancen dafür stehen gut. Mit
starken Marken, überzeugenden Produkten und einer flächendeckenden
Vertriebsorganisation haben die Autobauer alle Trümpfe in der Hand.
Kosten senken und Flexibilität erhöhen
Neben der Erschließung von Wachstumsfeldern haben Autobauer
größten Handlungsbedarf in puncto nachhaltiger Kostensenkung. Während
die OEMs bei den Einkaufskosten gemessen an anderen Branchen die Nase
klar vorn haben, sind in anderen Unternehmensbereichen noch
zahlreiche Hausaufgaben zu erledigen. So müssen beispielsweise
Entwicklung und Produktion gemeinsam daran arbeiten, die ausufernde
Produktkomplexität in den Griff zu bekommen. Diese führt heute zu
immer geringeren Produktivitätsgewinnen und konnte bisher nur bei
wenigen Herstellern durch effektive Modulstrategien gelöst werden.
Die größten Möglichkeiten zur Optimierung aber bietet der
Vertrieb, wo noch immer viele Einsparpotenziale ungenutzt bleiben.
Der Oliver Wyman-Untersuchung zufolge lassen sich mindestens 20
Prozent der Vertriebskosten durch Prozessverbesserungen reduzieren.
Angesichts der Verschiebung bei der Kundennachfrage ist dies zwingend
notwendig. Sinkt durch Downsizing und Low-Cost-PKWs der Umsatz pro
Fahrzeug weiter, müssen auch die Vertriebskosten entsprechend
reduziert werden. Gleichzeitig gilt es, die Profitabilität der
Vertriebsnetze zu verbessern, denn nicht nur in der Krise ist die
Ertragskraft vieler Händler und ganzer Märkte zu niedrig.
Darüber hinaus muss die Automobilindustrie strukturell auf die
Veränderung ihres Geschäfts reagieren. Dies betrifft vor allem die
Werke in den westeuropäischen Kernmärkten. Bleibt hier die Nachfrage
nach Autos dauerhaft unter dem Niveau früherer Jahre, wovon viele
Experten derzeit ausgehen, gilt es die Produktionskapazitäten
anzupassen. Ansonsten droht eine Situation permanenten "Blechdrucks"
- und in der Folge eine dauerhafte, ruinöse Rabattschlacht. Die
ersten Hersteller haben bereits reagiert. Ford, PSA und GM wollen
ihre Produktionskapazitäten bis 2016 um rund 700.000 Einheiten pro
Jahr zurückfahren. Dadurch steigt zwar die durchschnittlich
prognostizierte Auslastung über die Profitabilitätsschwelle von 75
Prozent, doch im Markt verbleibt eine Überkapazität von fast vier
Millionen Einheiten. Vor diesem Hintergrund ist ein weiterer Rückgang
der Verkaufsprognosen nicht auszuschließen.
Insbesondere aber müssen die Autobauer insgesamt resistenter gegen
zyklische Konjunkturschwankungen werden. In der aktuellen Krise zeigt
sich die geringe Flexibilität vieler Unternehmen, auf einen
Nachfragerückgang mit schnellen Kapazitätsanpassungen reagieren zu
können. Ausgehend davon, dass Krisen derartigen Ausmaßes in Zukunft
häufiger vorkommen werden, benötigen alle OEMs bei der Gestaltung
ihrer Kostenstrukturen mehr Flexibilität, um für den nächsten
Abschwung gewappnet zu sein. Dazu gehören flexiblere Produktions- und
Personalmodelle, der intensivere Einsatz temporärer Arbeitskräfte
sowie der Ausbau von Auftragsfertigungsmodellen.
Schnittstelle zum Kunden langfristig absichern
Die Automobilhersteller stehen bereits heute im intensiven
Wettbewerb mit Intermediären wie Leasinganbieter und
Vermietungsgesellschaften. Dazu kommen neue Mobilitätsangebote wie
Carsharing oder der Trend hin zum vernetzten Fahrzeug, die die
Automobilindustrie zukünftig erheblich verändern werden. Die OEMs,
die sich in der Vergangenheit primär über ihre Entwicklungs- und
Produktionskompetenz definiert haben, tun sich derzeit mit ihrer
neuen Rolle als Serviceanbieter schwer - und damit auch als
Wettbewerber von Google, Apple & Co. So sind gebündelte
Lösungsangebote bisher vielfach nur in Ansätzen erkennbar und
entsprechende Geschäftsmodelle oft noch nicht klar definiert. Zudem
erfolgt der Eintritt in den Markt vielfach zu zaghaft und zu langsam,
um in diesen Zukunftssegmenten dominieren zu können.
Die Automobilindustrie läuft damit Gefahr, mittelfristig die
wichtige Schnittstelle zum Kunden an Dienstleistungsunternehmen zu
verlieren, die sich mit intelligenten Angeboten zwischen Kunde und
OEM schieben. Um die Kundenhoheit zu behalten, müssen die Hersteller
gezielte Kooperationen mit Medien-, Telekommunikations- und
IT-Unternehmen eingehen. Diese sind so zu gestalten, dass sie die
OEMs auf ihrem Weg in Richtung Servicedienstleister unterstützen,
ihnen aber gleichzeitig ermöglichen, auch in Zukunft Herr der
Kundenschnittstelle zu sein. In erster Linie aber verlangt dieser
Trend vielen Automobilherstellern eine konsequente Neuorientierung
ab: weg vom heutigen Fokus auf Technik und Produktion sowie hin zum
Kunden und höherwertigen Dienstleistungen. Unverzichtbar sind neue
Businessmodelle, die für mehr Differenzierung im Wettbewerb sorgen
und neue, gewinnträchtige Geschäftsfelder erschließen.
Hausaufgaben machen
Internationalisierung, Kostendruck, Zyklizität und die
Verschiebung des klassischen Autogeschäfts in Richtung neuer
Serviceangebote werden sich fortsetzen. In der Folge werden auch in
Zukunft die echten Global Player sowie die fokussierten
Premiumanbieter bei Wachstum und Ertragskraft die Nase vorn haben.
Für die eher mittelgroßen und nur regional aufgestellten Anbieter
wird der Konsolidierungsdruck dagegen immer stärker. Weitere
Übernahmen auf dem Automarkt sind daher absehbar. Hinzu kommt: Sollte
China als Wachstumsmotor ausfallen, können die restlichen
BRIC-Staaten und auch Zukunftsregionen wie die Next-Eleven-Märkte den
Rückgang nicht voll kompensieren. Gleichzeitig wird es für kleinere
Hersteller schwer, die vielen Herausforderungen finanziell und
kapazitätsmäßig zu stemmen, die Internationalisierung, Technik- und
Produktoffensiven sowie eine Optimierung des Geschäftsmodells mit
sich bringen.
Wichtigste Aufgabe der Hersteller ist daher, sich strategisch klar
und fokussiert auszurichten, und sich allen Herausforderungen jetzt
konsequent zu stellen, um für die kommenden Veränderungen des Markts
gewappnet zu sein. Wer schnell seine Hausaufgaben macht, hat auch
künftig große Chancen. "Die Nachfrage nach individueller Mobilität
wird in vielen Weltregionen weiter steigen", ist sich Joas sicher.
"Deshalb bleibt die Automobilindustrie langfristig ein
Wachstumsmarkt."
ÜBER OLIVER WYMAN
Oliver Wyman ist eine international führende Managementberatung
mit weltweit 3.000 Mitarbeitern in mehr als 50 Büros in 25 Ländern.
Das Unternehmen verbindet ausgeprägte Branchenspezialisierung mit
hoher Methodenkompetenz bei Strategieentwicklung, Prozessdesign,
Risikomanagement und Organisationsberatung. Gemeinsam mit Kunden
entwirft und realisiert Oliver Wyman nachhaltige Wachstumsstrategien.
Wir unterstützen Unternehmen dabei, ihre Geschäftsmodelle, Prozesse,
IT, Risikostrukturen und Organisationen zu verbessern, Abläufe zu
beschleunigen und Marktchancen optimal zu nutzen. Oliver Wyman ist
eine hundertprozentige Tochter von Marsh & McLennan Companies (NYSE:
MMC). Weitere Informationen finden Sie unter www.oliverwyman.de.
Folgen Sie Oliver Wyman auf Twitter @OliverWyman.
Pressekontakt:
Maike Wiehmeier
+49 89 939 49 464
maike.wiehmeier@oliverwyman.com
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