Schwäbische Zeitung: Leitartikel - Tiger mit Beißhemmung
Geschrieben am 06-09-2013 |
Ravensburg (ots) - Endlich wird Europa in Sachen Datenschutz
aktiv. Die EU-Justizkommissarin Viviane Reding fordert eine
gemeinsame Reaktion aller europäischen Staaten auf die systematische
Bespitzelung des Kontinents durch den US-Geheimdienst NSA. Auf einmal
ist es sehr eilig. Das bestehende Datenschutzrecht solle noch vor der
Europawahl im Mai 2014 gründlich reformiert werden, sagte Reding in
Berlin und bat Kanzlerin Merkel um Schützenhilfe. Dabei zog die
Luxemburgerin eine ehrliche wie frustrierte Bilanz des NSA-Skandals,
die die schlimmsten Befürchtungen der Europäer bestätigt: Die
Staatengemeinschaft sei derzeit ein "zahnloser Tiger", der brüllen,
aber nicht beißen könne. Mit dem Gebrüll alleine lässt sich die
Supermacht USA nicht beeindrucken.
Es ist vollkommen richtig, den unersättlichen und weitgehend
unkontrollierten Datensammlern einen Schuss vor den Bug zu verpassen.
Europa muss sich geschlossen gegen die ungenierte Überwachung seiner
Kommunikation jenseits des Atlantiks wehren. Dem Einwurf aus Brüssel
fehlen aber die nötige Schärfe, Überzeugungskraft und die richtigen
Argumente, um die gewünschte Wirkung zu erzielen. Was spricht dafür,
dass der Tiger Europa bald der US-Regierung seine Zähne zeigt? Nicht
viel. Erstens weil die Zeit für eine Einigung vor der EU-Wahl zu
knapp ist. Zweitens weil die geforderten Sanktionen gegen
Unternehmen, die freiwillig mit der NSA zusammenarbeiten, außerhalb
Europas keine Kraft haben würden. Drittens weil man wahrscheinlich
nicht mit tatkräftiger Unterstützung der Briten rechnen kann.
Denn Premierminister David Cameron steht in der NSA-Affäre seinen
US-Partnern näher als Deutschland und dem Rest des Kontinents. Die
Geheimdienste Amerikas und Großbritanniens sind eng verzahnt. Zudem
hat sich das Königreich von den USA den Ausbau seines Lauschpostens
in Cornwall bezahlen lassen, in dem der Datenverkehr in den
transatlantischen Internetkabeln abgezapft wird. Keine Sanktionen
werden London zwingen können, diese Kooperation zu beenden.
Pressekontakt:
Schwäbische Zeitung
Redaktion
Telefon: 0751/2955 1500
redaktion@schwaebische-zeitung.de
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