Inklusion und Selektion im Schulwesen schließen sich aus (BILD)
Geschrieben am 12-09-2013 |
Berlin / Stuttgart (ots) -
Die Waldorfschulen in Deutschland sehen sich als Vorreiter bei der
Umsetzung des Inklusionsgedankens, wie er in der
UN-Behindertenrechtskonvention formuliert ist. Der Bund der Freien
Waldorfschulen (BdFWS) bietet allen Waldorfschulen seine
Unterstützung an, die sich in diese Richtung weiterentwickeln wollen.
Dies bekräftigten Vertreter des BdFWS am Mittwoch vor Journalisten in
Berlin. Mit einem großen Kongress in der Bundeshauptstadt vom 20.-22.
September 2013 will die Waldorfschulbewegung zum Erfahrungsaustausch
über Inklusion beitragen.
"Auch wenn es damals nicht so bezeichnet wurde, hat die Inklusion
bereits bei der Gründung der ersten Waldorfschule 1919 in Stuttgart
Pate gestanden", erläuterte dazu Henning Kullak-Ublick vom Vorstand
des BdFWS. In Waldorfschulen bildeten immer die vorhandenen
Fähigkeiten der Kinder den Ausgangspunkt für die pädagogische Arbeit,
während ein auf Selektion ausgelegtes Schulwesen notwendig die
Vermeidung von Defiziten in den Vordergrund stelle.
Die aktuelle Entwicklung sei daher von großer gesellschaftlicher
Relevanz, betonte Kullak-Ublick: "Inklusion und Selektion schließen
sich aus. Hier ist ein Paradigmenwechsel im Bildungswesen notwendig,
für den der BdFWS bereits in den '7 Kernforderungen an die
Bildungspolitik' plädiert hat. Wir müssen von dem alten Gedanken der
Schulpflicht zum umfassenden Recht auf Bildung gelangen und dies auch
im Grundgesetz verankern."
Historisch hätten sich, bedingt durch die Schulgesetzgebung der
Länder, auch bei den Waldorfschulen getrennte Förder- und
Regelschulen herausgebildet, sehr oft arbeiteten beide Schulformen
aber unter einem Dach zusammen in der Überzeugung, dass sie "eine
Schule für alle" sein wollten. "Die innovative Kraft der
Inklusionsidee müssen wir auch innerhalb der Waldorfpädagogik wieder
neu entdecken", so Kullak-Ublick.
Dr. Thomas Maschke vom Institut für Waldorfpädagogik, Inklusion
und Interkulturalität in Mannheim betonte, dass der notwendige
Paradigmenwechsel auch für die Lehrerbildung gelte. Hier müsse der
Fördergedanke ebenfalls stärker verankert werden. Inklusion erfordere
einen Wandel in der Gestaltung des Unterrichts im Sinne der
methodischen Vielfalt. Außerdem müsse den Schülern - aber auch den
Eltern - die Unterschiedlichkeit von Lernwegen und Ergebnissen
vermittelt werden. "Hier ist ein Wandel in den Köpfen notwendig, der
vermutlich langwierig und nicht linear sein wird," meinte Maschke.
Darauf müssten die Lehrer in der Ausbildung angemessen vorbereitet
werden.
Birgitt Beckers vom Vorstand des BdFWS warnte davor, aus dem
Inklusionsgedanken ein Sparmodell an den Schulen zu machen: "Der
Staat muss die räumlichen, personellen und therapeutischen
Voraussetzungen schaffen, damit Inklusion wirksam werden kann.
Heilpädagogen und Pädagogen aus Regelschulklassen müssen die
Möglichkeit erhalten, gemeinsam eine Pädagogik für alle Kinder zu
entwickeln."
Das Ansinnen, alle Kinder zu einer sozialen Gemeinschaft
zusammenzuführen und dennoch für jedes Kind individuelle Lerninhalte,
Methoden und Lernziele anzubieten, sei eine riesige Herausforderung,
die sich gesellschaftlich auszahlen werde. "Aber die Kindergärten und
Schulen dürfen hiermit nicht alleine gelassen werden, sondern
benötigen weitest gehende Unterstützung und große
Handlungsspielräume", betonte Beckers. Bereits heute arbeiten mehrere
Waldorfschulen inklusiv und etliche weitere versuchen, sich auf diese
Aufgabe vorzubereiten. Viele Waldorfschulen nehmen schon immer Kinder
mit besonderem Förderbedarf in ihre Regelklassen auf, ohne dies
besonders auszuweisen.
Auch Prof. Dr. Steffen Koolmann, Leiter des Instituts für
Bildungsökonomie an der Alanus Hochschule für Kunst und Gesellschaft
in Alfter, machte deutlich, dass Inklusion nicht zum Nulltarif zu
haben sei. "Neben zusätzlichen Lehrkräften sind erhebliche
Aufwendungen für therapeutische und fördernde Maßnahmen erforderlich
sowie auch für die Raum- und Sachausstattung", so Koolmann.
Bereits seit vielen Jahren würden die Waldorfschulen in
erheblichem Umfang diese zusätzlichen Aufwendungen finanzieren - ohne
dass dieses bislang bei ihrer Bezuschussung berücksichtigt worden
sei. Letztendlich erfolge die Finanzierung dieses zusätzlichen
Angebots für Schülerinnen und Schüler mit besonderem Förderbedarf
solidarisch durch alle Eltern der Waldorfschulen. Die vom
Statistischen Bundesamt für das Schuljahr 2011/12 für Deutschland
ausgewiesene Integrationsquote in Höhe von 1,5 Prozent läge an den
Waldorfschulen schon seit langem deutlich höher.
Das Institut für Bildungsökonomie legt seit 40 Jahren jährlich
einen in der deutschen Bildungslandschaft einzigartigen
Transparenzbericht über die wirtschaftliche Lage an den
Waldorfschulen vor.
Bund der Freien Waldorfschulen e.V.
Die derzeit 232 deutschen Waldorfschulen haben sich zum Bund der
Freien Waldorfschulen e.V. mit Sitz in Stuttgart zusammengeschlossen,
wo 1919 die erste Waldorfschule eröffnet wurde. Die föderative
Vereinigung lässt die Autonomie der einzelnen Waldorfschule
unangetastet, nimmt aber gemeinsame Aufgaben und Interessen wahr.
Pressekontakt:
Bund der Freien Waldorfschulen e.V.
Celia Schönstedt
Pressesprecherin
Kaiser-Wilhelm-Straße 89, 2. Etage rechts
D-20355 Hamburg
Telefon: +49 (0)40 34107699-0
Fax: +49 (0)40 34107699-9
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