DER STANDARD-Kommentar: "Hirten, nicht Funktionäre" von Gerhard Mumelter
Geschrieben am 20-09-2013 |
Ausgabe vom 21.9.2013
Wien (ots) - Kein Tag, an dem der Papst nicht für Schlagzeilen
sorgt: nicht durch spektakuläre Auftritte, eher durch Gesten der
Bescheidenheit. In sechs Monaten hat der Argentinier mehr bewegt als
sein Vorgänger in sieben Jahren. Während Joseph Ratzinger um die
Doktrin bemüht war, geht es Jorge Mario Bergoglio ums Evangelium. Mit
einem ungewöhnlich kritischen Interview hat er nun weltweit Aufsehen
erregt: Er ermahnte die Kirche, gnädiger und einladender auf Menschen
zuzugehen, auch wenn diese gegen moralische Regeln der Kirche
verstoßen haben. Ausdrücklich ging er dabei auf Homosexuelle ein und
auf Frauen, die abgetrieben haben. Franziskus fordert größerer
Barmherzigkeit in der Kirche. Sonst könnte ihr moralisches Gefüge
"wie ein Kartenhaus" zusammenfallen. In seiner Freitagpredigt legte
der Papst noch nach. Gott sei mit Geld nicht vereinbar, Geldgier die
Wurzel aller Übel: "Geld macht korrupt und führt zu Neid und
Eifersucht." Man könne nicht Gott und dem Geld zugleich dienen. Die
Radikalität, mit der Franziskus das Evangelium predigt und
verwirklicht, sorgt in Teilen der römischen Kurie ebenso für
wachsende Nervosität wie sein Plan, eine kollegiale Kirchenführung zu
etablieren und die traditionellen Machtkämpfe im Vatikan zu beenden.
Auch hier wurde der Papst deutlich: "Das Volk Gottes will Hirten und
nicht Funktionäre." Doch an den machtbewussten Funktionären der Kurie
sind schon etliche Päpste gescheitert.
Rückfragehinweis:
Der Standard, Tel.: (01) 531 70/445
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