Neue Westfälische (Bielefeld): KOMMENTAR
Debatte über das Wahlrecht
Überflüssiges Lamento
CARSTEN HEIL
Geschrieben am 29-09-2013 |
Bielefeld (ots) - Kaum sind die Stimmen der Wähler nach der
Bundestagswahl ausgezählt, erhebt sich das Lamento der Experten.
Politologen, Verfassungsrechtler, Wahlbeobachter stellen erschrocken
fest: 15,7 Prozent der Stimmen, knapp sieben Millionen, sind ohne
eine Wirkung abgegeben worden, weil sie auf Parteien entfallen, die
die Fünf-Prozent-Hürde nicht geschafft haben. Logische Forderung
diese Experten ist, dass die Hürde weg muss oder zumindest gesenkt
gehört. Andere diskutieren - weil die Koalitionsbildung gerade so
schwierig ist - darüber, ob nicht besser gleich das
Mehrheitswahlrecht nach angelsächsischem Vorbild eingeführt werden
sollte. Diese beiden Vorschläge weisen in entgegengesetzte
Richtungen. Dabei ist das deutsche Wahlrecht mit einer Kombination
aus Mehrheits- und länderorientiertem Verhältniswahlrecht,
abgesichert durch die jetzt viel kritisierte Fünf-Prozent-Hürde, das
Beste überhaupt. Auch wenn das Bundesverfassungsgericht für
Europawahlen jüngst die Höhe der Hürde auf drei Prozent gesenkt hat,
bleibt die Fünf-Prozent-Schwelle für Berlin doch richtig. Der
Bundestag hat weitreichendere Befugnisse als Straßburg. Und so
wichtig anstrengende Koalitionsverhandlungen auch sind, was sollen
Parteien mit Einzelinteressen wie die AfD oder die Piraten, oder wer
da immer kommen mag, in einer Koalition? Niemand muss mit Weimar
argumentieren, weil das historisch schief ist, aber selbst viele
Wähler der AfD oder der Piraten wollen ihre Favoriten gar nicht in
der Regierung sehen, sondern mit ihrer Stimme nur ihren Protest gegen
etablierte Parteien ausdrücken. Zudem sind Wahlen immer
Momentaufnahmen. Vor eineinhalb Jahren diskutierte das Land darüber,
ob es bald mit den Piraten einen Sechs-Parteien-Bundestag geben wird.
Heute sind nur noch vier Fraktionen im hohen Hause. Deshalb das
Wahlrecht ändern? Richtig ist freilich, dass die Regierungsbildung
schwierig ist. In diesen Tagen besonders. Und schlecht für die
Demokratie wäre eine große Koalition aus Union und SPD grundsätzlich.
Dann hätten die Regierungsfraktionen 503 Sitze, die Opposition nur
127. Selbst Minderheitenrechte müssten von der Mehrheit "großzügig"
eingeräumt werden. Die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses,
Normenkontrollklagen beim Bundesverfassungsgericht - mit denen die
Verträglichkeit eines Gesetzes mit einem bereits geltenden
höherrangigen überprüft wird - , Redezeiten im Parlament und
Ausschussvorsitze wären für die Kleinen problematisch. Da auch der
Bundesrat von Schwarz-Rot bestimmt ist, wäre ein Durchregieren, wie
Angela Merkel es sich schon lange wünscht, möglich. Das ist
bedenklich. Aber keine Folge des Wahlrechts, sondern der Entscheidung
der Wähler. Zudem: Beim Mehrheitswahlrecht wie in den USA oder
England fielen noch mehr Stimmen unter den Tisch als bei dieser Wahl.
Deutschland braucht kein Lamento über ein neues Wahlrecht, sondern
verantwortliche Politiker, die über eine stabile Regierung
verhandeln.
Pressekontakt:
Neue Westfälische
News Desk
Telefon: 0521 555 271
nachrichten@neue-westfaelische.de
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