Rheinische Post: Was Hannelore Kraft erreichen kann
= Von Sven Gösmann
Geschrieben am 06-10-2013 |
Düsseldorf (ots) - Welche Koalition die Bundesrepublik in den
kommenden vier Jahren regiert, entscheiden zwei Frauen:
Bundeskanzlerin Angela Merkel auf der Unions-Seite und die
nordrhein-westfälische Ministerpräsidentin Hannelore Kraft auf der
SPD-Seite. Über Merkels Vorzüge (Geduld) und ihre Schwächen (zu viel
Geduld) ist hinlänglich geschrieben worden. Wie also sieht es mit
Kraft aus? Die Ministerpräsidentin hat im toten Winkel der Berliner
Öffentlichkeit eine der bemerkenswertesten Lernkurven deutscher
Politik absolviert. Stolperte sie anfangs 2010 noch mehr, als dass
sie selbst lief, in ihre Machtposition, so ist sie längst die
ranghöchste und angesehenste Politikerin der Sozialdemokraten; ihr
Landesverband ist naturgemäß der größte, sie organisiert die
SPD-Länder im Bundesrat. Mit der typischen Sturheit des
Ruhrgebietskindes hat sie ihr Programm ("Wir lassen kein Kind
zurück") zum Markenzeichen entwickelt. Die drei Bedingungen, die
SPD-Chef Gabriel für eine große Koalition intoniert, sind Kraft pur:
Mindestlohn, Arbeitsmarktreformen und Bildungsinvestitionen. Das ist
umso bemerkenswerter, als Gabriel Kraft lange als politisch unbedarft
einschätzte. Menschlich und politisch sind sich Merkel und Kraft
übrigens fremd geblieben. Sie haben keine Handynummern getauscht und
sich nur einmal allein unterhalten. Trotzdem oder gerade deshalb, so
ist es aus der Union zu hören, halte man Kraft für die "gefährlichste
Gegnerin" auf SPD-Seite. Die SPD-Vizevorsitzende ist in ihrer Analyse
zu klug, sich den gedanklichen Kurzschluss vieler Genossen zu eigen
zu machen, die Teilnahme an der großen Koalition von 2005 bis 2009
allein hätte zum Absturz bei den beiden vergangenen Bundestagswahlen
geführt. Kraft hat bewiesen, dass andere Wahlergebnisse für die SPD
möglich sind, indem sie deutlich sozialdemokratischer und glaubwürdig
links auftritt als Steinmeier 2009 und Steinbrück jetzt. Kraft ist
jedenfalls milieunäher geblieben als die restliche SPD-Spitze.
Instinktiv hat sie sofort die negative Stimmung der Funktionärsbasis
gegen die große Koalition für sich instrumentalisiert. Gern
präsentiert sie die Fotos von Papierstapeln mit ablehnenden E-Mails
von Genossen als Beleg dafür, dass es schwer wird, die SPD für ein
schwarz-rotes Bündnis zu gewinnen. Es ist kein Zufall, dass Berichte
aus der Sondierungsrunde dringen, nur Kraft habe unwirsch in den
Verhandlungen gesessen. Bei solchen Nachrichten wird auch immer die
Handschrift von Krafts einflussreichstem Berater sichtbar,
Regierungssprecher Thomas Breustedt, einem versierten früheren
Boulevardjournalisten, In der Tat hat Kraft viel eher als die
SPD-Vertreter unter der Berliner Käseglocke wie Gabriel und
Steinmeier begriffen, dass die Sozialdemokraten, wenn überhaupt, nur
sehr langsam in die große Koalition finden dürfen. Für die SPD muss
es "ein Prozess" werden, so lautet auch eine von Krafts
Lieblingsvokabeln. Dabei muss der Eindruck vermieden werden, ein paar
Jungs und Andrea Nahles von der Parteispitze teilen die
Ministerposten auf und bekommen von Merkel einige programmatische
Brosamen zugewiesen. Nur so hielte Kraft auch ihre heimischen
SPD-Truppen für die Kommunalwahl im Mai motiviert. Die Plakatkleber
werden nur für sie rennen, wenn sie ihnen zuvor ein stark
SPD-geprägtes Regierungsprogramm der großen Koalition vorlegt. Krafts
Vorteil ist ihr Alleinstellungsmerkmal in der SPD-Spitze: Sie will
nichts werden. Käme die große Koalition nicht zustande, könnte sie
über den Bundesrat die Oppositionsführerin gegen eine schwarz-grüne
Merkel-Regierung werden, Gabriel wäre wohl Geschichte, Steinmeier
machtloser Fraktionschef im Bundestag. Bei allen innenpolitisch
relevanten Reformen säße Kraft aber über den Bundesrat mit am
Entscheidertisch. Derzeit ist Kraft in der Rolle der
Koalitionsmacherin. Daraus könnte sich mit Blick auf die nächste
Bundestagswahl die Rolle einer Königsmacherin entwickeln. Für die
Überlegung, ob sie sich dann selbst oder jemand anderem die Krone
aufsetzt, blieben ihr vier Jahre Zeit.
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Redaktion
Telefon: (0211) 505-2621
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