DER STANDARD-KOMMENTAR "Gespaltenes Ägypten" von Gudrun Harrer
Geschrieben am 07-10-2013 |
Der Kampf findet nicht nur zwischen Muslimbrüder-Anhängern und
-Gegnern statt - Ausgabe vom 8.10.2013
Wien (ots) - In Ägypten spielt sich weit mehr ab, als auf den
Straßen als Auseinandersetzung zwischen den Muslimbrüder-Anhängern
und deren Gegnern am Wochenende wieder blutig sichtbar geworden ist.
Es sind essenzielle Fragen zur Zukunft des Landes, dazu, was
Demokratie heißt, welche Rolle der Islam, welche das Militär spielen
soll. Aus einer positiven Sichtweise heraus, an die sich viele
Ägypter und Ägypterinnen jetzt klammern, befindet sich das Land - und
vielleicht die ganze arabische Welt - in der zweiten großen
Emanzipationsbewegung der Moderne: Zuerst kam im 20. Jahrhundert die
Befreiung vom Kolonialismus, zu Beginn des 21. Jahrhunderts muss die
Befreiung von allen Formen des Autoritarismus folgen. Deshalb
reagierten so viele Ägypter absolut allergisch auf den Willen zur
Macht, der die Muslimbrüder mit der neuen Freiheit erfasste und den
Präsident Mohammed Morsi verkörperte. Indem die Muslimbrüder 2012
einen Präsidentschaftskandidaten aufstellten, hatten sie bereits ein
den Ägyptern gegebenes Versprechen gebrochen. Sein Jahr im Amt
überzeugte viele dann vollends, dass Wahlen für die Muslimbrüder nur
ein Vehikel auf dem Weg zur totalen Herrschaft bedeuteten. Dazu kamen
die Ansätze eines Teils der Muslimbrüder, sich zu bewaffnen und
Milizen zu bilden. Aus dem Umsturz von Juli 2013 zu folgern, dass die
Verhältnisse in Ägypten klar sind - pro und contra Muslimbrüder, mit
teilweise großer Gewaltbereitschaft auf beiden Seiten - wäre jedoch
eine grobe Vereinfachung. Jene, die einen Sturz der Muslimbrüder
befürworten, verweisen auf die große Mehrheit, die deren Gegner
haben, ablesbar an den (ständig wachsenden) Millionenzahlen an
Menschen, die im Juni gegen die Muslimbrüder auf die Straße gingen.
Aber die Opposition zu den Muslimbrüdern alleine macht noch keinen
Staat. Da gibt es jene, die gleichzeitig mit den Muslimbrüdern die
Revolution von Jänner/Februar 2011 auslöschen wollen. Auch wenn kaum
einer Hosni Mubarak zurückhaben will, seine Leute, die vor nunmehr
fast drei Jahren ihre Pfründe verloren, sind noch da. Und da gibt es
auch noch jene in der ägyptischen Gesellschaft, die am liebsten in
die 1970er zurückkehren würden: ein Neonasserismus, der gerade am Tag
der Armee am Wochenende seine seltsamen Blüten trieb. Präsident Anwar
al-Sadat, der 1973 mit einem erfolgreichen Überraschungsangriff auf
Israel für den "Sieg" sorgte, den Ägypten heute noch feiert, war
nicht der Held des Tages. Es war der "Sohn Nassers", wie er genannt
wird, Verteidigungsminister und Armeechef Abdel Fattah al-Sisi. Man
mag das alles als nostalgischen Kitsch und Sehnsucht nach der - durch
die Stagnation der Mubarak-Jahre endgültig verlorenen - ägyptischen
Führungsrolle in der arabischen Welt abtun. Aber genauso wie für den
Sturz Morsis Unterschriften gesammelt wurden, so verfolgen immer mehr
Armee-Anhänger mit Inbrunst das Projekt, al-Sisi zur Kandidatur bei
den Präsidentschaftswahlen zu überreden. Er würde sie locker gewinnen
- was er für ein Präsident sein würde, weiß man nicht. Die Schlacht
darum wird nicht auf der Straße ausgetragen, sondern innerhalb der
Verfassungskommission. Nicht nur die Rolle der Religion im Staat ist
zu klären, sondern auch die der Armee, und daran wird zu messen sein,
wie ernst die jetzige Übergangsregierung es mit dem Versprechen
meint, dass auf Morsis Herrschaft die Demokratie folgen wird.
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Der Standard
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