Mediengipfel und Auftakt der Medientage München:
Auf der Suche nach der Win-Win-Regulierung
Geschrieben am 16-10-2013 |
München (ots) - Bayerns Vize-Ministerpräsidentin Ilse Aigner hat
zum Auftakt der MEDIENTAGE MÜNCHEN erklärt, sie strebe für den
Medienbereich nicht mehr, sondern bessere Regulierung an. Aigner ist
seit 10. Oktober in Bayern neue Staatsministerin für Wirtschaft und
Medien, Energie und Technologie. Sie vertrat den Ministerpräsidenten
Horst Seehofer, der sich wegen der Sondierungsgespräche zur Bildung
einer neuen Bundesregierung in Berlin aufhält. Aigner plädierte für
eine Medienregulierung, die gewährleistet, dass offene Plattformen
entstehen, niemand Netz-Ressourcen künstlich verknappt und alle einen
diskriminierungsfreien Zugang zum Internet erhalten. Sie sehe sich
als Medienministerin bewusst in der Tradition einer Medienpolitik,
"der es immer darum ging, zu ermöglichen, nicht zu verhindern", sagte
Aigner. Technik und Wirtschaft seien allerdings "kein Selbstzweck",
sondern hätten "dienende Funktion gegenüber dem Bürger". Es gehe
darum, mit einer Win-Win-Situation im Erhardschen Sinne Wohlstand für
alle zu schaffen. "Unser Ziel sind gleichwertige Lebens- und
Arbeitsverhältnisse in Stadt und Land: auch und gerade bei der
Digitalisierung; auch und gerade bei der Breitbandversorgung",
versprach die neue Wirtschafts- und Medienministerin. Sie kündigte
eine eigenständige Medienagentur an, die in Bayern neue Ideen und
junge Unternehmer unterstützen soll. Außerdem sieht Aigner
Handlungsbedarf in zwei wichtigen Bereichen: So brauchten Anbieter
und Kunden im Internet in Bezug auf das Urheberrecht "transparente,
auch für den juristischen Laien nachvollziehbare Regeln". Zusätzlich
müsse zur Sicherung von Qualitätsjournalismus dafür gesorgt werden,
dass professionelle Presse und Rundfunkangebote künftig finanzierbar
blieben. Kritik übte Aigner an der starken Rolle der Europäischen
Union bei der Regulierung von Medien- und Telekommunikation. So werde
in Brüssel die Bedeutung der Medien als Kulturgut meist gegenüber
wirtschaftlichen Binnenmarkt-Aspekten vernachlässigt. Auch im
Telekommunikationsmarkt seien keine neuen Verordnungen aus Brüssel
sinnvoll, weil dies "eigentlich Ländersache" sei, kritisierte die
Ministerin. Siegfried Schneider, Präsident der Bayerischen
Landeszentrale für neue Medien (BLM) und Vorsitzender der
Gesellschafterversammlung der MEDIENTAGE MÜNCHEN, unterstrich bei
seinem Grußwort die Bedeutung einer Regulierung, welche die einzelnen
Mediengattungen nicht länger getrennt, sondern der konvergenten
Realität entsprechend behandle. "Das gemeinsame Ziel von
Gesetzgebung, Regulierung und Aufsicht muss sein, Chancengleichheit
sowohl für alle Medienarten als auch für den Standort Deutschland im
internationalen Wettbewerb zu schaffen", betonte Schneider. Fair sei
der Wettbewerb nur dann, wenn für alle Wettbewerber die gleichen
rechtlichen Rahmenbedingungen gelten würden. Dies betreffe das
Urheber- und Steuerrecht ebenso wie die Bereiche Datenschutz,
Netzzugang und Auffindbarkeit sowie Jugendmedienschutz und
Konzentrationsrecht. Der Pluralismus im TV-Bereich sei derzeit
gesichert, erklärte Schneider. Als Beleg führte er die Ergebnisse des
MedienVieltfaltsMonitor der BLM an. Wegen dieser Vielfalt im
nationalen Bereich könne aus seiner Sicht auf Sendezeiten für
unabhängige Dritte (§ 31 Rundfunkstaatsvertrag) "eher verzichtet"
werden. Hingegen müssten Anstrengungen verstärkt werden, um die
Regionalfenster und die regionale Berichterstattung zu sichern. Der
Intendant des Bayerischen Rundfunks, Ulrich Wilhelm, machte beim
Mediengipfel auf ein zentrales Problem der digitalen Gesellschaft
aufmerksam: Nutzer und Konsumenten würden angesichts der jüngsten
Datenschutz-Skandale das Vertrauen in die Online-Medien verlieren.
Wenn nicht klar sei, was mit persönlichen Daten und dem Schutz der
Privatsphäre geschehe, sei der öffentliche digitale Raum in Gefahr.
Über die sich ändernde Rolle der klassischen Massenmedien urteilte
Wilhelm wie folgt: Zwar habe das Internet die Gatekeeper-Funktion
überflüssig gemacht, doch seien Medien gefragt, wenn es darum gehe,
Orientierung zu vermitteln und Diskurse zu moderieren. Darüber hinaus
empfahl der Intendant des Bayerischen Rundfunks allen Akteuren und
Unternehmen, sie sollten angesichts der zunehmenden Konvergenz "neue
publizistische Gemeinschaften" bilden und crossmediale
Partnerschaften eingehen. Aufgabe der Politik sei es, den Free Flow
of Information zu gewährleisten und proprietäre Systeme verhindern.
Dabei sei es wichtig, das Internet als publizistisches Forum und
nicht nur als Grundlage für Geschäftsmodelle zu betrachten. Im
Spannungsfeld von gesellschaftlichen und ökonomischen
Herausforderungen bewegten sich im Anschluss an Wilhelms Keynote auch
die Debatten auf dem Mediengipfel. Schnell wurde bei der von
taz-Chefredakteurin Ines Pohl moderierten Podiumsdiskussion deutlich,
dass fast alle Beteiligten zwar ein Minimum an staatlichen Eingriffen
in die Märkte wünschen, aber jeweils in bestimmten Bereichen auf
zügige (De-)Regulierung drängen. ProSiebenSat.1-Vorstandsmitglied
Conrad Albert klagte über zu starke Restriktionen bei der TV-Werbung
und wies darauf hin, dass Google im Internet nahezu ohne Auflagen
agieren könne. Google kontrolliere zunehmend den Werbemarkt und die
Auffindbarkeit von Inhalten im Internet. Wenn aber in Deutschland
Free-TV-Programmanbieter Video-Plattformen etablieren wollten,
scheiterten sie am Bundeskartellamt. Es gehe nicht darum, "Google
hochzuregulieren", aber seine Branche brauche "mehr Bewegungsraum",
appellierte Albert an die Politik. Dr. Tobias Schmid,
Vorstandsvorsitzender der Verbandes Privater Rundfunk und Telemedien
(VPRT), sprach von einer "Schieflage", die entstanden sei, weil die
Rundfunkregu-lierung aus den Zeiten des linearen Fernsehens stamme.
Inzwischen aber seien alle Mediengattungsgrenzen aufgehoben und
deshalb müssten für alle die gleichen Regeln geschaffen werden.
Medienpolitische Anpassungen an technologische Veränderungen dauerten
zu lange, kritisierte Schmid. Entsprechende Verfahren würden sich in
der Europäischen Union meist über etwa fünf Jahre hinziehen. Bis zur
nationalen Umsetzung vergingen dann weitere zwei Jahre. Dass
Medienregulierung der technologischen Entwicklung hinterherhinkt, sei
ein weltweites Problem, sagte Brian Sullivan, Vorstandsvorsitzender
von Sky Deutschland. Auch er äußerte Bedenken in Zusammenhang mit
Themen wie Datenschutz oder Urheberrechtsschutz. Umso wichtiger sei
es, aufzuklären und Vertrauen zu schaffen. Dieser Aussage stimmte
Philipp Justus, der für Google das Geschäft in Deutschland leitet,
zu. "Wir schaffen Transparenz und bieten Wahlmöglichkeiten",
verteidigte sich Justus gegen Vorwürfe, der Suchmaschinen-Marktführer
sei ein Datenkrake. Bei Google könnten Nutzer souverän entscheiden,
ob und welche persönlichen Daten sie preisgeben. Je mehr die
Suchmaschine aber über den einzelnen Nutzer erfahre, desto relevanter
seien die Suchergebnisse. Die Bonner Medienwissenschaftlerin Prof.
Dr. Caja Thimm hielt dagegen, die Personalisierung von Profilen könne
dazu beitragen, dass Nutzer in eine Filter Bubble gerieten, also nur
noch solche Internetinformationen erhielten, von denen Google
annehme, dass sie mit den vermeintlichen Vorlieben der jeweiligen
Anwender übereinstimmen. Thimm diagnostizierte, in unserer
mediatisierten Gesellschaft gebe es kein Zurück mehr, also keine
Alternative zum Internet. Der Begriff des Digital Native aber führe
in die Irre. Schließlich würde die jüngere Generation das Internet
zwar sehr intensiv nutzen, verfüge aber nicht über das not-wendige
Orientierungswissen, um sich wirklich als Einwohner bezeichnen zu
können. Als problematisch charakterisierte die
Medienwissenschaftlerin außerdem die "Algorithmisierung" von Wissen
in der Online-Welt. Zeitungsverleger Dr. Dirk Ippen wies darauf hin,
man könne im Internet nur etwas finden, von dem man wisse, dass man
danach suchen könne. Deshalb müssten Schulen in der Medien- und
Wissensgesellschaft wieder mehr Allgemeinbildung vermitteln. Zugleich
sprach sich der Verleger dagegen aus, Google zu verteufeln. Der
Konzern sei auch für Zeitungen "keine existenzielle Bedrohung".
Vielmehr hätten etwa Lokalblätter eine gute Chance zu überleben, wenn
sie als Solidarsysteme funktionierten: Im Grunde würden sie
Leser-Gemeinschaften bilden, die mit Communitys im Internet
vergleichbar seien. "Google verändert nicht unser Kerngeschäft",
versicherte auch ZDF-Intendant Dr. Thomas Bellut. Im Grunde gehe es
darum, das Publikum zu faszinieren und zu binden. Und dies gelinge,
so zeigten die aktuellen Reichweitendaten, noch immer sehr gut. Auf
die Parallelnutzung per Second Screen könne die Branche mit
Zusatzangeboten reagieren, zeigten sich Conrad Albert und Tobias
Schmid ebenfalls optimistisch, dass Social TV eine Bereicherung sei.
Allerdings, so gab Bellut zu bedenken, könne es sein, dass künftig
auch die Inszenierung im Fernsehen gezielt auf Second Screen und
Social TV abgestimmt werden müsse. Zu einer kontroversen Diskussion
zwischen Vertretern öffentlich-rechtlicher und privatwirtschaftlicher
TV-Programmanbieter kam es übrigens diesmal auf dem Mediengipfel
nicht. Stattdessen sprach der ZDF-Intendant schlicht davon, im Moment
herrsche auf dem Markt "Gleichgewicht und Stabilität". Weitere
Informationen erhalten Sie unter www.medientage.de
Pressekontakt:
Medientage München
Anja Kistler
Telefon: 089/68999250
Fax: 089/68999199
anja.kistler@medientage.de
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