DER STANDARD-Kommentar: "Rechtspflege im politischen Morast" von Michael Völker
Geschrieben am 05-11-2013 |
"Mut und Initiative der Justiz sind durchaus punktuell
gesetzt"; Ausgabe vom 06.11.2013
Wien (ots) - Es gilt die Unschuldsvermutung. Natürlich. Das ist
fast schon ein geflügeltes Wort, in vielen Fällen kaum noch ernst
gemeint, oft schon als Vorwurf vorgetragen: Es gilt die
Unschuldsvermutung. Auch in diesem Fall gibt es noch keine
Schuldsprüche, es muss erst einmal das Verfahren abgewartet werden.
Aber es gibt eine Anklage. Immerhin. Dass politische Delikte - in
diesem Fall geht es um den Vorwurf der Untreue und der Vorteilsnahme
- angeklagt werden, ist in Österreich noch längst keine
Selbstverständlichkeit. Auf der Anklagebank werden sitzen: ein
ehemaliger Landeshauptmann, zwei ehemalige Landesräte, einer davon
war auch Parteichef der Kärntner Freiheitlichen, ein ehemaliger
Nationalratsabgeordneter. Gerhard Dörfler, Uwe Scheuch, Harald
Dobernig, Stefan Petzner. Ein Sittenbild in Blau und Orange. Worum es
geht: Eine Werbebroschüre des Landes wurde so ähnlich auch als
Wahlkampfbroschüre des BZÖ im Landtagswahlkampf 2009 verbreitet. Der
vermutete Schaden: 219.000 Euro. Die Vermengung von Landesinteressen
und Parteiinteressen hatte in Kärnten System und kommt auch in
anderen Bundesländern, im schwarzen Niederösterreich ebenso wie im
roten Wien, vor. Vielleicht nicht ganz so plump. Der zweite Punkt in
der Anklage: Bei der Sanierung eines Tunnels soll der Landeshauptmann
von einem Bieter einen "Sponsorbetrag" gefordert haben. Von solchen
Vorgängen hat man in Kärnten (und außerhalb) nicht zum ersten Mal
gehört. Dass die Justiz durchgreift, ist neu. Die Angeklagten, die
bis vor wenigen Monaten noch als die politische Elite ihres Landes
gegolten hatten, stehen sinnbildlich für die Verrottung des
politischen Systems. Ein System des Gebens und Nehmens, der
Seilschaften, der Abhängigkeiten, der Gegenfinanzierung: mein Geld,
dein Geld, unser Geld. Zwischen dem Land und der Partei wurde kaum
ein Unterschied gemacht. Die Vergabe der finanziellen Mittel des
Landes und der ihr zugehörigen Gesellschaften diente der
Machtabsicherung. Nicht, dass dieses System völlig neu wäre. Und
nein, auch anderen Parteien war - und ist - dieses System nicht
fremd. Aber die Freiheitlichen wandten es besonders unmittelbar an.
Offenbar hat man sich auch bei der Justiz ein Herz gefasst. Das sei
auch erwähnt, denn die Arbeit der Justiz ging gerade in Kärnten nicht
immer ganz angst- und pannenfrei vonstatten: Dass die handelnden und
angeklagten Personen jetzt nicht mehr an den Hebeln der Macht sitzen,
scheint den Mut des rechtspflegenden Personals durchaus beflügelt zu
haben. Recht so. Alles, was der Justiz dazu verhilft, ihrer Arbeit
nachzukommen und der weitverbreiteten Freunderlwirtschaft dort ihre
Grenzen zu setzen, wo diese schlichtweg kriminell wird, ist zu
unterstützen. Selbstverständlich sind die Entscheidungen der Justiz
zu respektieren. Das gilt auch für die Einstellung des Verfahrens
gegen Kanzler Werner Faymann, der sich mit Inseraten, die ÖBB und
Asfinag zu finanzieren hatten, das Wohlwollen des Boulevards zu
sichern versucht hat. Aber auffällig ist es schon, wo der Mut der
Justiz die Flügel hebt - und wo nicht. Was jenen Politikern und
Ex-Politikern jetzt in Kärnten widerfährt, möge ihren Kollegen in
Wien, St. Pölten und anderswo dennoch als Abschreckung dienen. Das
spart vielleicht viel Geld, mein, dein, unser Geld.
Rückfragehinweis:
Der Standard, Tel.: (01) 531 70/445
Digitale Pressemappe: http://www.ots.at/pressemappe/449/aom
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