Mittelbayerische Zeitung: Leitartikel von Maria Gruber zu Reform der Pflegeversicherung/Koalition
Geschrieben am 06-11-2013 |
Regensburg (ots) - Das jahrelange Gezerre um eine Pflegereform ist
eine einzige Geschichte des Versagens. Viele Regierungen versprachen
den großen Wurf, passiert ist aber nichts - beziehungsweise viel zu
wenig, um etwas am Pflegenotstand zu ändern. Offenbar haben alte und
pflegebedürftige Menschen und die, die sie betreuen, eine zu schwache
Lobby - oder die Politiker keinerlei Verständnis dafür, was es
bedeutet, alt, verwirrt, schwach und von der Hilfe anderer abhängig
zu sein. Seit langem liegen die theoretischen Grundlagen für eine
Reform und insbesondere für die Neudefinition des
Pflegebedürftigkeitsbegriffs vor. In unzähligen Sitzungen hat sie der
Pflegebeirat erarbeitet, der übrigens bereits von der letzten großen
Koalition 2009 eingesetzt wurde. Diese hat die Empfehlungen des
Expertengremiums aber nicht umgesetzt. Schwarz-Gelb wollte das
nachholen - und hat es ebenfalls nicht getan. Sollte die nächste
Bundesregierung eine große Koalition sein, muss sie das Thema Pflege
endlich angehen - und das grundlegend. Ein weiteres Versagen darf es
nicht geben! Was Pflegenotstand bedeutet, wissen diejenigen, die
direkt betroffen sind. Für alle anderen könnten folgende Zahlen
Aufschluss geben: So wird die Zahl der Pflegebedürftigen Prognosen
zufolge von heute mehr als zwei auf 4,5 Millionen im Jahr 2050
steigen. Im selben Zeitraum verdoppelt sich die Zahl der an Demenz
Erkrankten auf drei Millionen. Zwei Drittel der Betroffenen werden zu
Hause von ihren Angehörigen umsorgt. Und die müssen häufig nicht nur
damit zurechtkommen, dass der Ehepartner, dass Mutter oder Vater, sie
nicht mehr erkennen und ihre Persönlichkeit verändern. Vielmehr
nehmen sie auch in Kauf, ihre Berufstätigkeit reduzieren oder ganz
aufgeben zu müssen. Wie sehr die schwarz-gelbe Regierung an die
pflegenden Angehörigen gedacht hat, zeigt das
Familienpflegezeitgesetz. Dass es floppt, war von Anfang an klar,
denn mit der Realität oder den Bedürfnissen der Pflegenden hat es
wenig zu tun. Und wer einen Blick auf die demografische Entwicklung
wirft, sieht schnell: Diejenigen, die Angehörige pflegen können,
werden immer weniger. Eine Rundum-Pflege durch ambulante Dienste
können sich aber die wenigsten leisten. Deshalb engagieren viele
Betreuerinnen aus Osteuropa. Etwa 100 000 Frauen arbeiten und wohnen
auf diese Weise in Haushalten von Pflegebedürftigen - und das nicht
selten in einer rechtlichen Grauzone oder illegal. Wer das nicht
will, kann ja immer noch über einen "Oma-Export" nachdenken. Die
Alten nach Thailand abschieben - ja, so etwas gibt es. Ein
Armutszeugnis. Pflegenotstand auch in Heimen: Denn dort könnten nach
einer Studie der Bertelsmann-Stiftung bereits im Jahr 2030 rund eine
halbe Million Vollzeit-Pflegekräfte fehlen. Kein Wunder: Das Image
ist schlecht und die Bezahlung auch - was verhindert, dass sich mehr
Männer für den Beruf entscheiden. Deshalb hat sich die schwarz-gelbe
Regierung im Ausland auf die Suche gemacht: in Spanien, Italien,
Portugal, Griechenland, Bosnien-Herzegowina, Serbien, auf den
Philippinen, in Tunesien und China. Kann das gutgehen? Wenn
überhaupt, dann nur, wenn die Pfleger sehr gute Fach- und
Sprachkenntnisse mitbringen. Es bleibt die Hoffnung, dass sich
hierzulande etwas tut. Bis jetzt haben sich Union und SPD in ihren
Koalitionsverhandlungen darauf geeinigt, dass der Beitragssatz zur
Pflegeversicherung steigen soll - um 0,5 Prozentpunkte. Zudem sollen
Pflegekräfte besser bezahlt und die Regeln für Teilzeitarbeit
geändert werden, um Berufstätigen die Pflege Angehöriger zu
erleichtern. Bleibt es dabei, darf sich Schwarz-Rot schon jetzt
einreihen - in die Liste der Regierungen, die bei der Pflege versagt
haben.
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Mittelbayerische Zeitung
Redaktion
Telefon: +49 941 / 207 6023
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