Westfalenpost: Für Schuldzuweisungen ist es zu früh / Kommentar zum Tod eines Säuglings in Soest von Joachim Karpa
Geschrieben am 20-11-2013 |
Hagen (ots) - Die Betroffenheit ist groß. Ein vier Monate altes
Mädchen verdurstet und verhungert in Soest. Vier Tage lang lässt eine
21-jährige Mutter den Säugling alleine zu Haus. Unfassbar, undenkbar.
Wut steigt auf. Schuldzuweisungen sind schnell bei der Hand. Das
Jugendamt war doch informiert. Die Mutter hatte sich schließlich
selbst mit der Bitte um Hilfe an das Amt gewandt. Und jetzt stirbt
das unschuldige kleine Wesen, obwohl alle Beteiligten wussten, dass
es der jungen Mutter nicht leicht gefallen ist, ihr Leben und das
ihres Kindes in Griff zu bekommen. Hüten wir uns davor, vorschnell
den Richter zu spielen. Das Jugendamt war überzeugt davon, dass es
dem Säugling gut geht. Bis zum Tod, so makaber es sich auch anhört.
Für die Sozialarbeiter gab es keinen Anlass, zu einem anderen Schluss
zu kommen. Die Fürsorge der Mutter für den Säugling stand offenbar
nie in Zweifel. Und vergessen wir die Rechtslage nicht. Auch wenn es
sich im Nachhinein furchtbar theoretisch anhört: Die betroffene
Mutter besaß das Sorgerecht für das Kind. Nachdenklich stimmt das
Stillhalten der Behörde über einen viel zu langen Zeitraum, wohl
wissend, dass die psychisch kranke Frau einen Säugling zu Hause hat.
Wer aber weiß, wie die Sozialkosten die Haushalte der Kommunen
belasten, wie winzig der finanzielle Spielraum ist und wie wenig
Personal für wie viele betroffene Familien zuständig ist, der ahnt,
dass natürlich nicht alles Menschenmögliche getan werden kann, um
überforderten Mitmenschen die notwendige Unterstützung zu
gewährleisten. Auf öffentlichen Bühnen machen sich Sätze wie "Wir
lassen kein Kind zurück" gut, mit dem richtigen Leben haben sie
nichts zu tun.
Pressekontakt:
Westfalenpost
Redaktion
Telefon: 02331/9174160
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