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Landeszeitung Lüneburg: Wandert die Macht, entsteht Hitze / Prof. Dr. Patrick Köllner: Inselstreit ist geeignet, die Konfrontation im ostchinesischen Meer anzuheizen

Geschrieben am 05-12-2013

Lüneburg (ots) - China legt die Hand auf Inseln, die unter der
Kontrolle Japans stehen. US-Bomber, die Atombomben tragen könnten,
ignorierten die von Peking ausgerufene Flugkontrollzone demonstrativ.
Das Muskelspiel der drei größten Volkswirtschaften im ostchinesischen
Meer hält die Welt in Atem. Wie gefährlich ist der Streit um die
Inseln, die in China Diaoyu und in Japan Senkaku genannt werden?
Prof. Dr. Patrick Köllner, Direktor des GIGA Institut für
Asien-Studien in Hamburg: "Die Inseln sind von großem strategischen
Wert. Sie erhöhen das Konfliktpotenzial in der derzeitigen
tektonischen Machtverschiebung."

Ist das strategische Konzept Deng Xiaopings Vergangenheit,
"Zurückhaltung zu üben, aber eine angemessene Rolle zu spielen"?

Prof. Dr. Patrick Köllner: Ja, diesen Eindruck muss man bereits
seit einigen Jahren haben. Und die jüngste Eskalation im Inselstreit
scheint dieser Interpretation noch mal Auftrieb zu geben. China hält
zwar an einer Strategie friedlicher Entwicklung fest, ist jedoch mit
Blick auf seine Kerninteressen zu keinen Konzessionen bereit.

Ist nach dem jüngsten Führungswechsel in Peking ein neuer außen-
und sicherheitspolitischer Leitsatz formuliert worden?

Prof. Köllner: Ein neuer Leitsatz ist nicht formuliert worden. Wir
wissen aber, dass in der chinesischen Außen- und Sicherheitspolitik
eine ganze Menge Akteure mitwirken. Im Zuge ihrer Machtkonsolidierung
sieht sich die neue politische Führung mit Forderungen patriotischer
Gruppierungen und global agierender chinesischer Wirtschatsakteure
konfrontiert, die für eine Modifizierung der außenpolitischen
Strategie der Volksrepublik plädieren. Das ist ein schwieriger
Balanceakt.

Wie groß ist der Einfluss nationalistischer Scharfmacher in Tokio
und Peking?

Prof. Köllner: Es hilft nicht, dass in beiden Hauptstädten auch in
Folge der Regierungswechsel in der jüngsten Vergangenheit verstärkt
nationalistische Töne angeschlagen werden. Das gießt Öl in die
Flammen.

Mit wie viel chinesischer Härte muss die Welt in der Taiwan-Frage
rechnen, wenn Peking schon bei den Diaoyu-Inseln so auftrumpft?

Prof. Köllner: Das ist in der Tat die große Frage, vor die wir
angesichts des Tauziehens um die umstrittenen Inseln gestellt werden.
Gerade auf Taiwan, das unter dem Damoklesschwert der möglichen
Rückgliederung lebt, wird aufmerksam registriert, dass die
Volksrepublik China nicht nur zunehmend selbstbewusst agiert, sondern
sogar ziemlich forsch.

Sollen die Inseln ein Baustein einer chinesischen Mauer auf dem
Meer werden, der den USA den Zugriff auf Chinas Küstengewässer
verwehrt?

Prof. Köllner: In dieser Frage kommt es entscheidend auf das Auge
des Betrachters an. Tatsächlich ist es so, dass China weitreichende,
territoriale Ansprüche bis ins südchinesische Meer stellt. Aus
chinesischer Sicht sind diese Ansprüche allerdings legitim.
Weitergehend beklagt man in Peking sogar, von Washington eingedämmt
zu werden. Das heißt, durch die Präsenz amerikanischer Streitkräfte
in der Region sieht Peking seine aus eigener Sicht angemessenen
Ansprüche in Frage gestellt.

Fühlt sich Peking durch Washingtons Hinwendung zum Pazifik
bedrängt?

Prof. Köllner: Diese strategische Neuausrichtung Washingtons trägt
zu Pekings Gefühl der Einschnürung bei. Auch, weil es ja nicht bloß
um die Präsenz von US-Einheiten geht, sondern ebenso um die
vielfältigen Allianzen, die das Weiße Haus in der Region geknüpft
hat. Die USA fungieren als Schutzmacht für  Taiwan und Japan
und haben Militärbündnisse mit Australien und Südkorea abgeschlossen.
In Peking wird der Vorwurf erhoben, dass die USA die Region durch
eine anti-chinesische Polarisierung destabilisieren. Das könnte einer
der Gründe dafür sein, dass Staatspräsident Xi Jinping bei seiner
ersten Auslandsreise versucht hat, die strategische Partnerschaft mit
Russland zu intensivieren.

Verfolgt das chinesische Militär, das von der Partei kontrolliert
wird, eine eigene Agenda eventuell sogar gegen die Regierung?

Prof. Köllner: Das ist angesichts der Vielzahl von
außenpolitischen Akteuren in China Spekulation. So konkurrieren etwa
Beratergruppen, die dem Handelsministerium oder im Ausland tätigen
chinesischen Banken zuzuordnen sind, mit dem Außenministerium - und
natürlich auch das Militär. Die Entscheidungsprozesse sind von außen
nicht zu durchschauen.

Was ist denn wichtiger für Peking: der historisch begründete
Anspruch auf die Inseln oder der Fisch- und Rohstoffreichtum um sie
herum? Prof. Köllner: Der historische Anspruch soll nur den Zugriff
auf das legitimieren, was dort strategisch relevant ist. Und das sind
die Vorkommen fossiler Brennstoffe im Meeresboden vor den Inseln und
die üppigen Fischbestände. Im Endeffekt würde eine derartige
territoriale Erweiterung die Ausdehnung der exklusiv von China
wirtschaftlich zu nutzenden 200-Seemeilen-Zone bedeuten. Insofern
haben die kargen Felsen einen großen Wert.

Soll außenpolitisches Auftrumpfen innenpolitisch Legitimität
erzeugen?

Prof. Köllner: Das dürfte Teil der Motivation der Führung in
Peking sein. Allerdings führt sie da ein zweischneidiges Schwert. Wir
haben schon mehrfach gesehen, wie schwer die einmal so ausgelösten
Dynamiken zu kontrollieren sind. Zudem versucht China in einer Phase,
in der Japan relativ schwächelt, herauszufinden, wie weit man gehen
kann. Das gilt auch gegenüber den USA, die in jüngerer Zeit durch
Irak- und Afghanistan-Krieg sowie die Finanz- und Wirtschaftskrise
geschwächt wurden. Und schließlich beinhaltet dieser Inselstreit für
Peking die Chance, einen Keil zwischen die Allianzpartner USA, Japan
und Südkorea zu treiben.

Hat sie das robuste Vorgehen Pekings überrascht angesichts der
Schwierigkeiten, die Sicherheitsorgane in der jüngsten Vergangenheit
hatten, anti-japanische Demonstrationen zu kontrollieren?

Prof. Köllner: Mit Blick auf das, was wir seit 2010 beobachten,
überrascht es nicht. Der Ausbau der Marine, die Modernisierung der
Luftwaffe und neue Fähigkeiten bei der Aufklärung geben China nun
auch die Möglichkeiten, seinen Machtanspruch ins Meer hineinzutragen.
Kleinere Nachbarstaaten fühlen sich dadurch bedrängt, einen Vergleich
mit den US-Streitkräften kann sich China hingegen noch nicht stellen.

Läutet der Inselstreit einen heißen Konflikt zwischen der zweit-
und drittgrößte Ökonomie der Welt ein?

Prof. Köllner: Es war schon immer so: Wenn es zu derartigen, schon
tektonischen Machtverschiebungen kommt, wie nun im pazifischen Asien,
kann Hitze entstehen. Deshalb ist die entscheidende Frage, wie alle
Beteiligten mit diesen Aufwallungen umgehen.

Im ostchinesischen Meer wächst die Gefahr auch zufälliger
Eskalationen zwischen zwei hochgerüsteten Marinen. Kann Asien von
europäischen Abrüstungserfahrungen profitieren?

Prof. Köllner: Wir haben in Europa zwei große Kriege gebraucht,
bis die Weisheit so weit vorangeschritten war, dass man zu einer
Vergemeinschaftung kriegswichtiger Ressourcen gekommen ist. Von
diesem Punkt sind wir in Asien noch weit entfernt.
Vertrauensbildende Maßnahmen wären in der Tat ein lohnender Schritt,
damit Europas Vergangenheit nicht Asiens Zukunft wird.

Hat Europa überhaupt eine Stimme, die in Asien noch gehört wird?

Prof. Köllner: Die Europäische Union und Deutschland werden in der
Region natürlich vor allem als Wirtschaftspartner wahrgenommen. Ihre
Rolle ist also nur sehr beschränkt. Gleichwohl könnte es in
Einzelfällen möglich sein, so etwas wie eine Mittlerrolle zu spielen.
Im aktuellen Inselstreit sehe ich das aber nicht.

Die arrivierte Supermacht wird von einer Aufsteigernation
herausgefordert. Im 19. Jahrhundert mündete die Rivalität zwischen
Großbritannien und Deutschland im Krieg. Wiederholt sich die
Geschichte?

Prof. Köllner: Eine Schule der wissenschaftlichen Disziplin der
Internationalen Beziehungen nimmt genau dies an. Andere Forscher
betonen dagegen, dass China über Jahrhunderte in Asien eine dominante
Rolle gespielt hat und sich die Nachbarstaaten ohne größere Konflikte
gefügt haben. Noch ist offen, wer Recht behält.

Erleben wir eine Rückkehr zur Normalität: China als Reich der
Mitte, was es nur rund 500 Jahre nicht war?

Prof. Köllner: Viele Chinesen hoffen als Wiedergutmachung für die
Ära der Demütigung auf eine Wiederherstellung der einstigen
territorialen Einflusszone.

Das Interview führte Joachim Zießler



Pressekontakt:
Landeszeitung Lüneburg
Werner Kolbe
Telefon: +49 (04131) 740-282
werner.kolbe@landeszeitung.de


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