DER STANDARD-Kommentar: "Traurige Zeiten" von Josef Kirchengast
Geschrieben am 10-12-2013 |
Österreichs Absenz bei der Trauerfeier für Mandela ist
zutiefst symptomatisch (Ausgabe vom 11. 12. 2013)
Wien (ots) - Es ist eh niemandem aufgefallen. Wenn an die hundert
amtierende oder ehemalige Staats- und Regierungschefs Nelson Mandela,
einer der größten Persönlichkeiten des 20. Jahrhunderts, die letzte
Ehre geben, wer vermisst da schon einen Repräsentanten des
unbedeutenden Österreich? So gesehen könnte man die Entsendung des
Bundesratspräsidenten Reinhard Todt als Ausdruck angemessener
Bescheidenheit interpretieren. Schließlich kennt ihn auch hierzulande
kaum jemand. Da ist es dann auch schon egal, dass Todt wegen
anderweitiger Verpflichtungen erst am Tag nach dem Höhepunkt der
Trauerfeiern in Südafrika eintrifft.
Bundespräsident Heinz Fischer hat Mandela als "Lichtgestalt der
Menschlichkeit, der Weisheit und der Toleranz" gewürdigt. Zur
Zeremonie in Johannesburg ist er nicht gereist. Stattdessen nimmt er
am zweitägigen Festakt zum 100. Geburtstag von Willy Brandt in Lübeck
teil. Dort trifft er heute seinen deutschen Amtskollegen Joachim
Gauck - der gerade aus Johannesburg zurückgekehrt sein wird. Man kann
natürlich akzeptieren, dass auch einem überparteilichen
Bundespräsidenten das sozialdemokratische Hemd näher ist als der
österreichische Staatsrock. Man kann auch der Meinung sein, auf
formelle Repräsentation komme es gar nicht an; vielmehr gehe es
darum, das Erbe Mandelas in der politischen Praxis wie im Alltag zu
leben.
Der Name Mandela steht nicht nur für Unbeugsamkeit und Versöhnung,
sondern auch für visionäres Denken. Insofern ist das Verhalten des
offiziellen Österreich allerdings zutiefst symptomatisch. Weil die
Koalitionsverhandlungen in der Endphase stehen, halten sich die
Spitzen beider Parteien, die auch die jeweiligen Spitzen in der
Regierung sind, für unabkömmlich. Dass es der künftigen Regierung
indes um irgendeine Art von Vision geht, ist nicht einmal ein
Gerücht. Und wenn es eines wäre, würde es nicht geglaubt. Wo steht
dieses kleine Land heute im globalen Wettbewerb? Wo sind seine
Schwächen, die es zu beseitigen, wo seine - unzweifelhaften -
Potenziale, die es zu nutzen gilt? Wo wollen wir in fünf, zehn Jahren
stehen? Wie schaffen wir es, möglichst viele Menschen aktiv in eine
gesamtösterreichische Entwicklungsstrategie einzubeziehen? Viele,
auch kleine Gemeinden sind heute dabei, unter aktiver
Bürgerbeteiligung Leitbilder für ihre Zukunft zu entwickeln. An der
"großen" Politik geht dies spurlos vorbei. Diesen inneren
Verhältnissen entsprechen konsequenterweise die Darstellung nach
außen wie das Agieren auf internationalem Feld. Von einer strategisch
ausgerichteten, geschweige denn visionären Außenpolitik kann
spätestens seit den Umwälzungen auf dem Balkan und der damals um- und
weitsichtigen Diplomatie Wiens keine Rede mehr sein.
Außenpolitik ist, in welcher Partei immer, längst keine Chefsache
mehr. Wenn jetzt der junge Sebastian Kurz als künftiger Außenminister
gehandelt wird, ist auch dies bezeichnend. Bei aller Anerkennung für
seine Leistungen als Integrationsstaatssekretär: Die Europa- und die
internationale Politik sind eine andere Liga. Sollte das Kalkül
dahinter stehen, in der Außenpolitik könne man nichts falsch machen,
weil das den Leuten eh wurscht sei, dann wäre dies erst recht
entlarvend. Kurz aber ins kalte Wasser zu stoßen, um zu sehen, ob er
schwimmen kann, wäre nur ein anderer Ausdruck der gleichen Gesinnung.
Rückfragehinweis:
Der Standard, Tel.: (01) 531 70/445
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