Westfalenpost: Es sprach: Der oberste Seelsorger der Republik / Kommentar zu Gaucks Weihnachtsansprache von Stefan Hans Kläsener
Geschrieben am 23-12-2013 |
Hagen (ots) - Wir haben uns schon daran gewöhnt, obwohl es ganz
und gar nicht selbstverständlich ist: Wenn der Bundespräsident
spricht, dann findet er schon die richtigen Worte. Er hat, in seiner
noch nicht zweijährigen Amtszeit, bislang in jeder Situation bella
figura gemacht. Und so auch wieder in dieser Weihnachtsansprache, die
angesichts der biblischen Bethlehem-Geschichte zu Recht an Not und
Elend der Flüchtlinge erinnert. Aber der dreifache Urgroßvater Gauck
hat nicht nur unfallfrei seine bisherigen Auftritte hinter sich
gebracht und Akzente gesetzt. Er hat vor allem nach innen gewirkt.
Dazu verhilft dem Theologen aus Rostock eine Gabe, die selten ist: Er
nimmt die Sorgen der Menschen ernst und mahnt sie doch zum Wandel.
Beispiel aus der Weihnachtsansprache: Natürlich wisse er, dass
Deutschland nicht jeden Flüchtling aufnehmen könne. Aber tut
Deutschland genug angesichts seiner wirtschaftlichen Potenz? Diese
Gewissenserforschung erspart uns der Bundespräsident nicht, und damit
zeigt er sich in der Rolle, in die er sich peu à peu eingearbeitet
hat: Er ist längst so etwas wie der oberste Seelsorger der Republik.
Ein Mann, dem wir oberhalb des politischen Tagesgeschäfts vertrauen,
dem wir unseren Staat anvertrauen. Solche Überhöhung ist nicht ohne
Gefahr, weil sie gern in weihevoller Entrückung und dann in
Selbstgefälligkeit endet. Auch Gauck ist nicht vor dieser Versuchung
gefeit. Aber dass er die richtigen Worte zur richtigen Zeit findet,
dafür dürfen wir doch dankbar sein, während sein Amtsvorgänger - halb
Täter, halb Opfer - in einem bizarren Prozess um eine Ehre kämpft,
die er im Amt nie so recht hatte.
Pressekontakt:
Westfalenpost
Redaktion
Telefon: 02331/9174160
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