Mittelbayerische Zeitung: Leitartikel von Hanna Vauchelle zu Migration/EU-Sozialtopf
Geschrieben am 13-01-2014 |
Regensburg (ots) - Als Sozialkommissar hat Laszlo Andor einen
undankbaren Job. Er kümmert sich um ein Ressort, das eigentlich in
der Kompetenz der Mitgliedsstaaten liegt. Umso größer ist der Ärger
in den Hauptstädten, wenn sich der Ungar trotzdem äußert - so wie im
aktuellen Streit über Sozialleistungen für EU-Zuwanderer. Dann
reagiert man vor allem in München und Berlin mit großer Empörung. Wie
könne Brüssel es wagen, sich in die deutsche Sozialgesetzgebung
einzumischen, dröhnt es schon seit Tagen. In der Tat kann die
Kommission das tun, sie muss es sogar. Denn Europa entscheidet
darüber, ob EU-Ausländern deutsche Sozialleistungen zustehen. Als
"übermäßig emotional und verfehlt" bezeichnete der Sozialkommissar
die Debatte über Armutsmigration in manchen Mitgliedsstaaten. Auf
Deutschland trifft diese Feststellung mit Sicherheit zu. Seit am
vergangenen Wochenende bekanntgeworden ist, dass die EU-Kommission an
den Festen des deutschen Sozialrechts rüttelt, scheint sich die
Republik im Ausnahmezustand zu befinden. Man kann eigentlich nur noch
darüber staunen, zu welchen Einlassungen sich CDU- und CSU-Politiker
mit Blick auf Brüssel hinreißen lassen. Etwas mehr Sachlichkeit würde
der Debatte tatsächlich gut tun. Denn die Wehklagen und das ewige
Einhauen auf das ach so böse Brüssel, bringen zum einen nichts und
zum anderen verkennen sie die Realität. Denn richtig ist doch:
"Brüssel" oder die EU sind nicht der Hort alles Bösen, sondern
schlicht das Resultat dessen, was die Mitgliedsstaaten in den letzten
60 Jahren gestaltet haben. Dies sollten sich die Europa-Parteien CDU
und CSU in diesen Tagen vor Augen halten. Dann könnten sie vielleicht
auch akzeptieren, dass es die Aufgabe der EU-Kommission ist, auf die
Einhaltung des europäischen Rechts zu achten, auf das sich alle
Staaten verpflichtet haben. Dies beginnt beim Europäischen
Fürsorgeabkommen aus dem Jahr 1953 und endet bei der Richtlinie über
das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen von 2004.
Dazwischen liegen die Antidiskriminierungsrichtlinie und die
Verordnung zur Koordinierung der Sozialsysteme, die allen EU-Bürgern
ein Recht auf soziale Grundsicherung eröffnet: In diesen 51 Jahren
haben die Mitgliedsstaaten im Rahmen der Freizügigkeit ihre
Sozialsysteme immer weiter miteinander verzahnt. Immer vorne mit
dabei, weil zumeist an der Macht: CDU- und CSU-Politiker. Jetzt auf
einmal so zu tun, als habe man mit diesem ganzen Prozess nichts am
Hut, ist kaum mehr als eine billige Wahlkampfmasche. Neben mehr
Sachlichkeit würde der Debatte auch eine Prise Selbstkritik gut
stehen. Aber davor fühlt man sich in München und Berlin gefeit. Zu
Unrecht, wie sich ebenfalls an diesem Wochenende gezeigt hat. So
fordern Deutschlands Konservative unermüdlich Unterstützung von der
EU, um deutschen Kommunen beim angeblichen Ansturm von
Armutsmigranten aus Rumänien und Bulgarien zu helfen. Gleichzeitig
ist nun bekanntgeworden, dass Deutschland nur 63 Prozent der im
EU-Sozialfonds liegenden Mittel abgerufen hat, die zur Eingliederung
eben dieser Minderheiten zur Verfügung stehen. Dazu passt, dass es
die Bundesregierung 2011 abgelehnt hat, einen von der EU geforderten
Aktionsplan zur Roma-Inklusion zu erstellen. Man sei auf einem guten
Weg, ein derartiger Plan sei deshalb unnötig, meldete man nach
Brüssel. Deutschland, das andere Staaten gerne dazu auffordert, die
Hausaufgaben zu machen, hat also selbst geschludert. Eingestehen will
das niemand. Einfacher ist es doch, Angst davor zu schüren, dass
schon bald massenweise EU-Bürger nach Deutschland kommen, um Hartz IV
zu beantragen.
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Mittelbayerische Zeitung
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