Badische Neueste Nachrichten: Debatte um das Sterben - Kommentar von Klaus Gassner
Geschrieben am 24-01-2014 |
Karlsruhe (ots) - Es geht um viel, wenn der Bundestag in diesem
Jahr das Thema Sterbehilfe rechtlich fassen will. Es geht um ein
Thema, das die überalternde deutsche Gesellschaft mit großer Wucht
treffen wird. Es geht auch um ein Thema, das die Rolle des Staates
definiert, der eigentlich eher Wohl und Leben seiner Staatsbürger
schützen muss, als Regeln für einen Suizid zu erstellen. Es dreht
sich ökonomisch um die Frage, was wir uns Leben kosten lassen. Und es
geht ganz zuoberst um ein elementares Prinzip: Welchen Wert hat
Leben? Die Debatte, die der Bundestag führen wird, darf nur eine sein
von vielen. Keiner darf sich dieser Frage nach dem Ende des Lebens in
Würde entziehen. Immer mehr wissen um die Nöte von Menschen, die
durch schwere Krankheiten in eine tiefe Sinnkrise stürzen. Die Frage
nach der Sterbehilfe ist daher keine Frage, die mit ideologischem
Pathos beantwortet werden kann und ebenso wenig mit der Parole am
Stammtisch: "Lieber tot als pflegebedürftig." Will sich der
Gesetzgeber diesem Thema ernsthaft stellen, so steht er vor einer
hohen moralischen Abwägung und vor extremen
Formulierungsschwierigkeiten. Keiner will, dass Sterbehilfe nur mit
dem Strafrecht allein geregelt wird. Wie aber kann ein Gesetz
gestaltet sein, das Sterbehilfe moralisch unangreifbar formuliert und
Verfahren praktikabel macht? Wo überhaupt sind Grenzen bei der
Hilfeleistung zu ziehen, ist der Fall einer über 90-jährigen
Schlaganfallpatientin genau so zu bewerten wie der eines 50-jährigen
Schlaganfallpatienten? Das Thema Sterbehilfe findet auch deshalb viel
Nährboden, weil der Zustand der Pflege alter und kranker Menschen
noch häufig unter dem Primat der Kassenlage steht. Die Pflege wird in
Industriegesellschaften mit einem hoch entwickelten
Versicherungssystem primär unter Kostengesichtspunkten definiert. Das
ist ökonomisch vernünftig und fiskalpolitisch geboten, aber die
Rationalität verstellt den Blick auf die humanitäre Ebene. Es gibt
Pfleger, die von Schwerkranken berichten, die ernsthaft den Tod
herbeiwünschten und Tage später mit strahlenden Augen die Blumen im
Park bestaunen - was dem Patienten wie dem Pfleger die Augen für eine
andere Wirklichkeit öffnet. Dem Schmerz ausgeliefert sein und der
Hilfeleistung durch andere, solch eine Erfahrung wirft alles über
Bord, was die auf Leistung, Schönheit und Erfolg getrimmte
Gesellschaft heute wertschätzt. Es könnte gefährlich sein, würden
daher genau diese Prinzipien darüber entscheiden, wie die
Gesellschaft mit Menschen an ihrem Rande, in Heimen, Kliniken oder im
privaten Pflegeumfeld umgehen muss. Und eines muss der Gesetzgeber
wissen: ein Recht auf "Sterbendürfen" kann die Frage nach dem
"Sterbensollen" unweigerlich nach sich ziehen.
Pressekontakt:
Badische Neueste Nachrichten
Klaus Gaßner
Telefon: +49 (0721) 789-0
redaktion.leitung@bnn.de
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