Westdeutsche Zeitung: Kanzlerin Merkel im Schatten der SPD =
von Werner Kolhoff
Geschrieben am 29-01-2014 |
Düsseldorf (ots) - Angela Merkel ist flexibel. Sie findet jetzt
öffentlich den Mindestlohn gut, die Mietpreisbremse, die Rente mit 63
und die Finanztransaktionssteuer. Wie sie diese ihr von der SPD
aufgenötigten Maßnahmen in ihrer Regierungserklärung anpries, grenzte
schon an Selbstverleugnung. Fast wirkte die Kanzlerin wie die Queen,
die bei ihren Thronreden die Programme der Premierminister vorliest.
Soll das Richtlinienkompetenz sein? In Koalitionen gilt zwar
prinzipiell für alle Partner, dass jeder Kompromisse machen muss.
Merkels Problem ist jedoch, dass man inzwischen nicht mehr weiß, was
denn eigentlich CDU-Politik wäre, gäbe es den Koalitionspartner
nicht. Bei der SPD ist das klar, sie würde Steuern für Reiche erhöhen
und die Bürgerversicherung einführen. Aber was würde die Union viel
anders machen als in diesem Koalitionsvertrag steht, wenn sie allein
regieren könnte? Wer nach allen Seiten offen ist, lautet ein Spruch,
der ist nicht ganz dicht. Erschöpft sich der Sinn der
Christdemokratie inzwischen nur noch darin, Angela Merkel vorne zu
halten? Und ist oben schwimmen der einzige Ehrgeiz dieser Kanzlerin,
um welche Preise auch immer? Tatsächlich hat Angela Merkel eine
eigene, unverwechselbare Botschaft, die sie auch gestern kundtat: Sie
möchte den Ehrgeiz des Landes anstacheln, seine Leistungsfähigkeit
herauskitzeln, jeden Versuch ausbremsen, den Wohlstand zulasten
späterer Generationen zu verjuxen. Sie denkt global, weiß um die
Konkurrenzen und möchte deshalb nicht nur Deutschlands Antreiberin
sein, sondern die ganz Europas. Und zwar, das darf man ihr abnehmen,
zum Wohle aller, nicht nur der Reichen. Eine solche Grundhaltung ist
schon sehr, sehr viel. Nur, warum ließ die Kanzlerin dann in der
letzten Legislaturperiode das unsinnige Betreuungsgeld zu und jetzt
die Maut? Warum duldet sie, dass die Rentenkassen geplündert werden,
statt über Steuern für mehr soziale und Verteilungsgerechtigkeit zu
sorgen? Warum akzeptiert sie, dass es beim Mindestlohn keinerlei
Ausnahmen geben soll? Die Antwort auf diese und viele andere Fragen
lautet: Weil Angela Merkel nicht ihre Position als Kanzlerin
gefährden wird. Weil sie oben bleiben will. Politischer Mut sieht
anders aus.
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Westdeutsche Zeitung
Nachrichtenredaktion
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