Badische Neueste Nachrichten: Schwere Krise - kommentar von Martin Ferber
Geschrieben am 16-02-2014 |
Karlsruhe (ots) - Es ist ein ungeschriebenes Gesetz. Jede neue
Regierung erhält zu Beginn ihrer Arbeit eine Schonfrist von 100
Tagen. Die Kabinettsmitglieder haben erst einmal drei Monate und eine
gute Woche Zeit, um sich mit ihrem Ressort vertraut zu machen, sich
in ihr Metier einzuarbeiten und erste Gesetzesinitiativen zu starten.
Nach 100 Tagen wird Bilanz gezogen, ob der Start geglückt oder
daneben gegangen ist. Die Große Koalition in Berlin, die am heutigen
Montag gerade einmal zwei Monate im Amt ist, hat es geschafft, von
sich aus die Schonfrist zu beenden und mehr als fünf Wochen vor
Ablauf der ersten 100 Tage ein politisches Erbeben auszulösen, dessen
Folgen noch nicht abzusehen sind. Ein Minister, noch dazu der frühere
Innen- und Verfassungsminister, musste zurücktreten, weil ihn die
Kanzlerin nicht mehr für tragbar hielt und es für sie nützlicher
erschien, ihn sofort fallen zu lassen als weiter im Amt zu behalten.
Die CSU sucht auf die Schnelle Ersatz, das Kabinett, das eben erst
auf einer Klausur in Meseberg versucht hat, eine Atmosphäre der
Harmonie und des gegenseitigen Verstehens herzustellen, wird kräftig
durcheinander geschüttelt, Schuldzuweisungen und Verdächtigungen
machen die Runde. Hans-Peter Friedrich hat unbestritten ein
Dienstgeheimnis verraten. Und doch wollte er nur Vertrauen säen, als
er zu Beginn der Koalitionsverhandlungen SPD-Chef Sigmar Gabriel die
Information weitergab, die sein Staatssekretär Fritsche vom BKA
erhalten hatte - dass Edathy auf einer Liste kanadischer
Ermittlungsbehörden stehe. Er ahnte Schlimmeres und wollte Unheil von
der SPD wie von der künftigen Koalition abwenden. Hätte er
geschwiegen, hätte man ihm später vorwerfen können, er habe sein
Wissen zurückgehalten und die SPD ins offene Messer laufen lassen. Er
konnte nur verlieren, so oder so. Und er hat verloren.Denn es kam,
wie es kommen musste. Statt Vertrauen herrscht plötzlich Misstrauen
zwischen den Koalitionsparteien. Die CSU ist beschädigt, schlimmer
noch, in ihrem Stolz verletzt, sie sinnt auf Revanche und wirft der
SPD Geschwätzigkeit und Vertrauensbruch vor. Die SPD wiederum muss
sich des Vorwurfs erwehren, führende Mitglieder hätten die
Information an Edathy weitergegeben und ihm somit die Möglichkeit
gegeben, Beweismaterial zu vernichten - auch wenn Edathy selbst dies
mittlerweile vehement bestreitet. Der Druck auf Thomas Oppermann
wächst, nicht wenige in der Union wollen seinen Skalp. Nicht zuletzt
aber wird - wieder einmal - über die Rolle der Sicherheitsbehörden
diskutiert. Was wissen das BKA und die Landeskriminalämter? Welche
Informationen geben sie wann an wen weiter? Sannen sie gar auf Rache
gegen Sebastian Edathy, der sich als harter, unbequemer und
rücksichtsloser Aufklärer in der NSU-Affäre erwiesen hatte? Und auch
die Staatsanwaltschaft Hannover muss sich unbequeme Fragen stellen
lassen. Schon droht die Linke mit der Einsetzung eines
parlamentarischen Untersuchungsausschusses, der dafür sorgt, dass die
Affäre kein Ende nehmen wird. Nach gerade einmal zwei Monaten im Amt
steht die Koalition vor einer schweren Krise, die auch vor der
Kanzlerin nicht Halt macht. Angela Merkel wird sich schwer tun, das
schleichende Gift des Misstrauens zu überwinden, das sich zwischen
den Koalitionären ausgebreitet hat und das dabei ist, das Fundament
des gemeinsamen Regierungsbündnisses zu zerfressen. Union und SPD
belauern sich argwöhnisch und werden sich so schnell nichts mehr
anvertrauen, jeder sinnt darauf, aus dem Fehler des jeweils anderen
Kapital zu schlagen, Auge um Auge, Zahn um Zahn. Das aber wäre nach
gerade einmal zwei Monaten schon das Ende einer gedeihlichen
Zusammenarbeit. Die Schonfrist ist vorbei.
Pressekontakt:
Badische Neueste Nachrichten
Klaus Gaßner
Telefon: +49 (0721) 789-0
redaktion.leitung@bnn.de
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