"Fruchtbare Potentiale und beachtliche Herausforderung"/
EKD stellt fünfte Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung (V. KMU) vor
Geschrieben am 06-03-2014 |
Hannover (ots) - Die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) hat
erste Ergebnisse der fünften Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung (V.
KMU) veröffentlicht.
Der Vorsitzende des Rates der EKD, Nikolaus Schneider, sagte
anlässlich der Vorstellung der zusammenfassenden Publikation
"Engagement und Indifferenz - Kirchenmitgliedschaft als soziale
Praxis" am heutigen Donnerstag in Berlin, Kernanliegen der
Untersuchung sei es, "ein möglichst realistisches und differenziertes
Bild der sozialen Praxis von Kirchenmitgliedern zu gewinnen: Zum
einen ist nüchtern zu konstatieren, dass eine zunehmende Indifferenz
bei Kirchenmitgliedern in vielen Hinsichten zu Abschmelzungsprozessen
führt. Zum anderen aber zeigen die Ergebnisse der Studie das
vielfältige Engagement von Kirchenmitgliedern und damit eine Reihe
von Potenzialen, die für zukünftige Entwicklungen der Kirche
fruchtbar sein können", so Schneider weiter.
In diesem Zusammenhang hob der Ratsvorsitzende hervor, dass der
Anteil evangelischer Kirchenmitglieder, die sich ihrer Kirche stark
verbunden fühlen, steige. Schneider: "Drei von vier Evangelischen
schließen laut unserer Untersuchung einen Austritt kategorisch aus."
Damit sei die Bereitschaft zum Kirchenaustritt im Vergleich zu den
Werten von 1992 und 2002 in allen Altersgruppen abermals deutlich
gesunken.
Der Leiter des Institutes für Soziologie der Universität Münster,
Detlef Pollack, unterstrich in einer ersten Analyse der Ergebnisse,
dass die "wachsende religiös-kulturelle Pluralisierung" die
evangelischen Christen herausfordere, ihre eigene religiöse Identität
zu stärken, aber gleichzeitig anderen religiösen Gemeinschaften
gegenüber tolerant zu sein. Dies sei durchaus der Fall, denn die V.
KMU zeige, so Pollack: Die Offenheit gegenüber nichtchristlichen
Religionen und das Vertrauen in Menschen mit einer nichtchristlichen
religiösen Zugehörigkeit sind unter Evangelischen höher als unter
Konfessionslosen"
Birgit Weyel, Professorin für praktische Theologie in Tübingen,
erläuterte, dass die V. KMU stärker erforscht habe, wie sich
Kirchenmitgliedschaft als soziale Praxis gestalte. Dabei zeige sich,
dass die Beziehung zur Kirche nicht primär als ein 'mehr' oder
'weniger' an Verbundenheit, Beteiligung und Überzeugung verstanden
werde, sondern als gelebte Praxis der Menschen, die diese als ihre je
eigene Form von Mitgliedschaft gestalten. Weyel: "Viele unserer
Fragen in der KMU zielen daher auf konkrete Anlässe und
Gelegenheiten, in denen Menschen religiös und kirchlich handeln. Zum
Beispiel: Wer geht mit wem gemeinsam in den Gottesdienst? Welche
Gelegenheiten zum Austausch über religiöse Themen werden
wahrgenommen? Durch welche biographischen Anlässe sind diese
motiviert?" Dabei habe sich gezeigt, dass der private Bereich zentral
sei. "Ehepartner und Lebenspartnerin, aber auch Freunde sind die
wichtigsten Gesprächspartner über religiöse Themen. Der Austausch
erfolgt vor allem unter 'Wahlverwandten', also Menschen, die sich
einander sehr verbunden fühlen und sich wechselseitig ausgewählt
haben", so die Theologin.
Kirchenpräsident Volker Jung von der Evangelischen Kirche in
Hessen und Nassau, hob bei der Vorstellung der Studie hervor, dass
die V.KMU eine "Tendenz zur Polarisierung der Mitglieder" im Blick
auf ihre Kirchenverbundenheit" zeige. Jung: "Während die Gruppe derer
mit mittlerer Verbundenheit eher abnimmt, wachsen die Gruppe der
engagierten Hochverbundenen und (quantitativ deutlicher) die Gruppe
der religiös Indifferenten." Auf der einen Seite werde
Kirchenmitgliedschaft bei den Hochverbundenen inhaltlich klar
begründet. Traditionelle theologische Verortungen werden erwartet und
geteilt und mit einer hohen Bereitschaft zu ehrenamtlichem Engagement
verbunden.
Auf der anderen Seite aber, so der Kirchenpräsident weiter, sei
"Kirchenferne" weniger von kontroverser Auseinandersetzung oder
Abgrenzung geprägt, sondern von nahezu vollständiger
Gleichgültigkeit. Jung: "Mitglied der Kirche zu sein - das wird über
alle Altersgruppen hinweg zunehmend zur Frage eines klaren Ja oder
Nein."
Der bayerische Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm erläuterte
schließlich die "Potenziale des Protestantismus", die sich in der
Untersuchung erkennen ließen: "Ein Fünftel der Kirchenmitglieder
beteiligen sich aktiv an kirchlichen und religiösen Gruppen. Darüber
hinaus engagieren sie sich zudem häufiger als Konfessionslose in
nichtkirchlichen Gruppen und Vereinen. Weite Kreise des
ehrenamtlichen Engagements in Politik und Kultur, in Gesund¬heit und
Parteien sind sozusagen protestantisch geprägt."
In diesem Sinne, so der Landesbischof, trage die Mitgliedschaft in
der evangelischen Kirche in "mehrfacher Weise" zum Zusammenhalt der
Gesellschaft bei. Personen, die sich religiös engagieren, seien auch
in anderer Hinsicht besonders aktiv im Ehrenamt. Bedford-Strohm:
"Generell stellt die evangelische Kirche durch ihre Mitglieder einen
relevanten Fundus an Sozialkapital zur Verfügung, der als wesentliche
Ressource für den Zusammenhalt der politischen Gemeinschaft erkennbar
wird."
Info Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung (KMU): Einstellungen zur
Kirche, religiöse Prägungen und Tendenzen der Mitgliederentwicklung -
alle 10 Jahre bittet die evangelische Kirche seit 1972 im Rahmen
großer repräsentativer Studien Experten aus Sozialwissenschaft und
Theologie zum Blick von außen auf die Institution und ihre
Mitglieder. Der besondere Fokus der fünften
Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung (V.KMU) liegt auf folgenden
Themen: Religiöse und kirchliche Praktiken als interaktives
Beziehungsgeschehen. Mit wem tauschen sich Menschen aktuell über
religiöse Themen aus? Welche kommunikativen Netzwerke gibt es in
diesem Feld in oder neben der Institution Kirche? Welche Faktoren und
Themen sind prägend, wenn es um die Kirche geht?
Infos zur Bestellung des Textes:
Der erste zusammenfassende Band über die V. EKD-Erhebung über
Kirchenmitgliedschaft "Engagement und Indifferenz -
Kirchenmitgliedschaft als soziale Praxis" hat 132 Seiten inklusive
zahlreicher Abbildungen. Der Band kann im Internet heruntergeladen
werden: www.ekd.de/kmu und als Broschüre bestellt werden unter
versand@ekd.de. Die Gesamtstudie wird voraussichtlich im Sommer 2015
über den Buchhandel beziehbar sein.
Berlin/Hannover, 6. März 2014
Pressestelle der EKD
Reinhard Mawick
Es gilt das gesprochene Wort!
Dr. h.c. Nikolaus Schneider
Vorsitzender des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland
(EKD)
Statement anlässlich der Vorstellung der Fünften
Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung (V. KMU) "Engagement und
Indifferenz" am 6. März 2014 in Berlin
Wir stellen heute die Ergebnisse der fünften EKD-Erhebung über
Kirchenmitgliedschaft (KMU) vor. Wie die Vorgänger-Untersuchungen zur
Kirchenmitgliedschaft wurde auch diese von der EKD verantwortete und
in Auftrag gegebene Studie von der Evangelischen Kirche in Hessen und
Nassau und der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche in Bayern
mitfinanziert.
Ich freue mich daher, dass die beiden Repräsentanten dieser
Gliedkirchen, Kirchenpräsident Dr. Volker Jung und Landesbischof
Prof. Dr. Heinrich Bedford-Strohm, die Studie mit mir gemeinsam
vorstellen. Sie werden gleich zu jeweils einem besonderen Aspekt der
Untersuchung sprechen.
Zudem freue ich mich über die Anwesenheit zweier Mitglieder des
Wissenschaftlichen Beirats, der die fünfte KMU in Zusammenarbeit mit
dem Kirchenamt der EKD und dem Sozialwissenschaftlichen Institut der
EKD konzipiert und ausgewertet hat: Es sind Herr Prof. Dr. Detlef
Pollack, Religionssoziologe an der Universität Münster und Frau
Prof.in Dr. Birgit Weyel, Praktische Theologin an der Universität
Tübingen. Auch Ihnen an dieser Stelle bereits einen herzlichen Dank -
für die geleistete Arbeit wie auch für Ihre Bereitschaft, die
Ergebnisse heute mit vorzustellen.
Die fünfte EKD-Erhebung zur Kirchenmitgliedschaft setzt einen Weg
fort, der vor vierzig Jahren begonnen wurde und alle zehn Jahre neu
eingeschlagen wird. 1973 war die Frage leitend: Wie stabil ist die
Kirche? 1983 klang der Titel - im Kontext von beachtlichen
Austrittswellen - sorgenvoll: Was wird aus der Kirche? Anfang der
90er Jahre wurde mit der III. KMU eine neue Dimension der
Mitgliedschaft entdeckt: Der Leitgedanke "Fremde Heimat Kirche"
zielte auf eine Wertschätzung der sog. "distanzierten"
Kirchenmitglieder. 2003 entdeckte die KMU die innere Vielfalt der
Kirche und differenzierte sie nach Lebensstilen und Milieus.
Kernanliegen der heute vorgestellten fünften KMU ist es, ein
möglichst realistisches und differenziertes Bild der sozialen Praxis
von Kirchenmitgliedern zu gewinnen. Der Titel "Engagement und
Indifferenz" zeigt die zentralen Wahrnehmungen der aktuellen KMU an:
Zum einen ist nüchtern zu konstatieren, dass eine zunehmende
Indifferenz bei Kirchenmitgliedern in vielen Hinsichten zu
Abschmelzungsprozessen führt. Die daraus abzuleitenden Prognosen
bieten keinen Anlass zu kirchlicher Selbstberuhigung. Zum anderen
aber zeigen die Ergebnisse der Studie das vielfältige Engagement von
Kirchenmitgliedern und damit eine Reihe von Potenzialen, die für
zukünftige Entwicklungen der Kirche fruchtbar sein können.
Ein Ergebnis der KMU möchte ich explizit hervorheben: Evangelische
Kirche - das ist für viele Menschen nach wie vor der Pfarrer und die
Pfarrerin "vor Ort". Etwa 20.000 Pfarrerinnen und Pfarrer sind im
Dienst für 23, 6 Millionen evangelische Christinnen und Christen in
Deutschland. Immerhin mehr als drei Viertel der evangelischen
Kirchenmitglieder kennt einen Pfarrer oder eine Pfarrerin entweder
namentlich oder vom Sehen. Und ihr persönlicher Eindruck steht in
engem Zusammenhang mit ihrer Kirchenbindung. Der Pfarrer, die
Pfarrerin vor Ort bestimmen also nach wie vor in bedeutsamer Weise
die Wahrnehmung von evangelischer Kirche überhaupt. Der Ansatz des
EKD-Reformprozesses, die Qualität der pastoralen Arbeit zu
thematisieren und zu stärken durch die Einrichtung von speziellen
Kompetenzzentren, erweist sich also auch aus der Perspektive der
Mitglieder als richtig.
Ferner macht die fünfte KMU deutlich, dass auch trotz sinkender
Mitgliedszahlen die Erwartungen - und mitunter auch die Ansprüche -
an die Kirche vor Ort wachsen. Darin liegt im Blick auf die Zukunft
eine große Chance für uns als Kirche: Es ist durchaus ermutigend,
dass von der evangelischen Kirche und ihren Repräsentantinnen und
Repräsentanten etwas erwartet wird und dass diese Erwartungen sogar
steigen.
Mit den Kirchenmitgliedschaftsuntersuchungen soll das Verständnis
für die Haltungen und das Verhalten nicht nur von Kirchenmitgliedern,
sondern auch von Konfessionslosen vertieft werden. Ein
kontinuierlicher, kritisch und solide erhobener Blick von außen ist
wichtig für unsere evangelische Kirche. Er vermag kirchenleitendem
Entscheiden und Handeln auf allen Ebenen und für alle Aufgaben des
kirchlichen Lebens wichtige Impulse zu geben. Deshalb hoffen wir in
den kommenden Monaten auf eine breite Rezeption und Diskussion der
KMU-Ergebnisse. Ein Ort dafür wird das EKD-Zukunftsforum im
Ruhrgebiet sein: Mitte Mai 2014 treffen sich rund 1000 kirchliche
Führungskräfte der mittleren Ebene. Die Ergebnisse der KMU werden
hier eine wichtige Rolle spielen.
Es gilt das gesprochene Wort!
Prof. Dr. Detlef Pollack
Institut für Soziologie der Universität Münster
Statement anlässlich der Vorstellung der Fünften
Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung (V. KMU) "Engagement und
Indifferenz" am 6. März 2014 in Berlin
Die Soziologie beschreibt gegenwärtige gesellschaftliche
Wandlungsprozesse mit Begriffen wie funktionale Differenzierung,
Pluralisierung und Individualisierung. Für eine Institution wie die
evangelische Kirche, aber auch für andere Institutionen und
Organisationen, wie etwa Gewerkschaften, Parteien oder auch Familien
gehen von diesen Prozessen erosive Wirkungen aus, die sie zu
mannigfachen internen Umbauten zwingen und ihre traditionale Gestalt
verändern.
Funktionale Differenzierung meint, dass die Semantiken und
Diskurse der einzelnen gesellschaftlichen Bereiche wie etwa der
Wirtschaft, der Politik oder auch der Moral sich mehr und mehr
verselbständigen. Für Religion und Kirche hat dies zur Folge, dass
ihre Weltdeutungen und Werte von den Menschen nicht mehr so ohne
Weiteres für ihr Verhalten in nichtreligiösen Bereichen, in der
Politik, in der Erziehung oder sogar im moralischen Bereich als
relevant angesehen werden.
Für die evangelische Kirche kommt es daher darauf an, mit ihren
Angeboten in der Gesellschaft sichtbar zu sein. Zu denken ist dabei
etwa an die diakonische Arbeit der Kirche, an die sich, wie die V.
KMU gezeigt hat, hohe Erwartungen richten, an die Übernahme
erzieherischer Aufgaben, die ebenfalls hohe Zustimmung erfährt, an
ihre Sichtbarkeit in der politischen Öffentlichkeit, an ihr
Engagement im Bereich von Kunst, Musik und Kultur, aber wie soeben
gehört auch an die Präsenz des Pfarrers und der Pfarrerin in der
Kommune, die auf die Wahrnehmung der Kirche und die Verbundenheit mit
ihr starken Einfluss hat.
Mit Pluralisierung wird die zunehmende Vielfalt von
ethnisch-kulturellen Zugehörigkeiten, Identitäten und Lebensstilen
bezeichnet. Die wachsende religiös-kulturelle Pluralisierung fordert
die Christen, auch die evangelischen Christen, dazu heraus, ihre
eigene religiöse Identität zu stärken und sich zugleich gegenüber
anderen religiösen Gemeinschaften nicht zu verschließen. Auch wenn
die Mehrheit der Evangelischen die zunehmende Vielfalt religiöser
Gruppen für eine Ursache von Konflikten hält, sind die meisten von
ihnen zugleich offen gegenüber nichtchristlichen Religionen. Die
Offenheit gegenüber nichtchristlichen Religionen und das Vertrauen in
Menschen mit einer nichtchristlichen religiösen Zugehörigkeit sind
unter den Evangelischen sogar etwas höher als unter Konfessionslosen.
Individualisierung wiederum kann als ein Prozess verstanden
werden, in dessen Verlauf die selbstbestimmten Anteile in der
Biographie der Menschen zunehmen und die fremdbestimmten abnehmen.
Die Kirchen sind von den Prozessen der Individualisierung besonders
betroffen, denn die Betonung individueller Selbstbestimmung geht
häufig mit einer besonderen Skepsis gegenüber institutionellen
Vorgaben einher.
Im Gegensatz zu einer weit verbreiteten Annahme ist der Glaube
jedoch kein von der Institution Kirche isolierter rein individueller
Akt. Er bedarf vielmehr der institutionellen Unterstützung, und er
verkümmert, wenn ihm die kommunikative Unterstützung durch
Interaktionen im Raum der Kirche, durch Kontakte zum Pfarrer, durch
den Gottesdienst fehlt. Das haben unsere Analysen, die repräsentativ
sind und höchsten sozialwissenschaftlichen Standards genügen, immer
wieder gezeigt: Intensive kirchliche Praxis und das Bekenntnis zum
Glauben an Gott korrelieren hoch.
Es gilt das gesprochene Wort!
Prof. Dr. Birgit Weyel
Theologische Fakultät der Universität Tübingen
Statement anlässlich der Vorstellung der Fünften
Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung (V. KMU) "Engagement und
Indifferenz" am 6. März 2014 in Berlin
Die wissenschaftliche Konzeption der V. KMU ist an einem
netzwerkanalytischen Paradigma orientiert. Das bedeutet: Die Erhebung
folgt nicht nur der klassischen Meinungsforschung, sondern sie
versteht, stärker als dies bisher der Fall war, Kirchenmitgliedschaft
als eine soziale Praxis. Kirchenmitgliedschaft ist eine soziale
Praxis, die sich in typischen Kommunikations- und Gemeinschaftsformen
vollzieht und in denen die Kirchenmitglieder immer schon stehen.
Kirchenmitglieder kommen daher in der Fünften
Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung stärker als bisher in ihrer Rolle
als Akteure in den Blick.
Wir sehen hier deutliche Anknüpfungspunkte an das theologische
Konzept des 'Priestertums aller Gläubigen'. Die Beziehung zur Kirche
wird nicht primär als ein 'mehr' oder 'weniger' an Verbundenheit,
Beteiligung und Überzeugung verstanden, sondern als eine Praxis der
beteiligten Menschen, die diese als ihre je eigene Form von
Mitgliedschaft gestalten. Viele unserer Fragen zielen daher auf
konkrete Anlässe und Gelegenheiten, in denen Menschen religiös und
kirchlich handeln. Zum Beispiel: Wer geht mit wem gemeinsam in den
Gottesdienst? Welche Gelegenheiten werden wahrgenommen? Durch welche
biographischen Anlässe sind diese motiviert?
Ein zentrales Themenfeld ist die religiöse Kommunikation, die
nicht nur im Gottesdienst, sondern darüber hinaus an vielfältigen
sozialen Orten stattfindet. Nach protestantischem Verständnis ist
Kirche in erster Linie ein Raum, in dem religiöse Kommunikation
möglich ist. Wir haben daher danach gefragt, wer mit wem bei welchen
Gelegenheiten über Religion ins Gespräch kommt. Es hat sich gezeigt,
dass gerade der private Bereich zentral ist: Ehepartner und
Lebenspartnerin, aber auch Freunde sind die wichtigsten
Gesprächspartner. Der Austausch über religiöse Themen erfolgt vor
allem unter 'Wahlverwandten', d. h. Menschen, die sich einander sehr
verbunden fühlen und sich wechselseitig ausgewählt haben. Was als
'religiöse' Kommunikation zu verstehen ist, steht nicht einfach fest,
sondern ist selbst Gegenstand von kulturellen Konventionen und
sozialen Aushandlungsprozessen.
Die V. KMU zeigt, dass für die meisten Menschen der Tod ein
zentrales religiöses Thema ist, darüber hinaus aber werden auch
Fragen über den Anfang der Welt, ethische Fragen am Lebensende (etwa
nach Sterbehilfe, Selbsttötung) und die Frage nach dem Sinn des
Lebens als religiös identifiziert. Es zeigt sich, dass der Sinn des
Lebens für viele Menschen kein abstraktes Thema ist. Die Frage nach
dem Sinn des Lebens ist vor allem in existentieller Perspektive als
Frage nach dem Sinn des je eigenen Lebens verstanden worden, die in
die Alltagswelt eingebettet ist, bevor sie ein Thema im Austausch mit
religiösen Experten ist und zu einer kirchlich-institutionellen
Praxis wird.
Es gilt das gesprochene Wort!
Kirchenpräsident Dr. Volker Jung
Evangelische Kirche in Hessen und Nassau
Statement anlässlich der Vorstellung der Fünften
Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung (V. KMU) "Engagement und
Indifferenz" am 6. März 2014 in Berlin
Der Titel "Engagement und Indifferenz" nimmt ein zentrales
Ergebnis der V. KMU auf: die Tendenz zur Polarisierung der Mitglieder
im Blick auf ihre Kirchenverbundenheit. Diese Polarisierung zeigt
sich durchgehend in den verschiedenen Einzelergebnissen.
Während die Gruppe derer mit mittlerer Verbundenheit eher abnimmt,
wachsen die Gruppe der engagierten Hochverbundenen und (quantitativ
deutlicher) die Gruppe der religiös Indifferenten.
So wird Kirchenmitgliedschaft auf der einen Seite bei den
Hochverbundenen inhaltlich klar begründet. Traditionelle theologische
Verortungen werden erwartet und geteilt und mit einer hohen
Bereitschaft zu ehrenamtlichem Engagement verbunden. Auf der anderen
Seite sind Kirchenferne weniger von kontroverser Auseinandersetzung
oder Abgrenzung geprägt, sondern von nahezu vollständiger
Gleichgültigkeit.
Mitglied der Kirche zu sein - das wird über alle Altersgruppen
hinweg zunehmend zur Frage eines klaren Ja oder Nein. Der Anteil
Evangelischer, die sich ihrer Kirche stark verbunden fühlen, steigt.
Das zeigt der Vergleich zwischen den Untersuchungen von 1992, 2002
und 2012. Und mittlerweile drei von vier Evangelischen schließen
einen Austritt kategorisch aus. Damit ist die Bereitschaft zum
Kirchenaustritt im Vergleich zu den Werten von 1992 und 2002 in allen
Altersgruppen abermals deutlich gesunken.
Gleichzeitig sinkt die Zahl der Evangelischen, die ihrer Kirche
immerhin noch schwach verbunden sind, während die Zahl der überhaupt
nicht Verbundenen zunimmt. Sich Religion und Kirche aus Skepsis und
Indifferenz nicht verbunden zu fühlen, wird in Ost- und
Westdeutschland inzwischen zunehmend als selbstverständlich gesehen
und zugleich als Ergebnis einer individuellen Entscheidung.
Wir müssen versuchen, diese Polarisierung zu verstehen. Spielen
hier gesellschaftliche Trends die entscheidende Rolle? Tragen
innerkirchliche Auseinandersetzungen oder ein unklares gemeinsames
Wirken nach außen zur Distanzierung bei? Und wenn ja, welche
Konsequenzen hat dies? Feststellen müssen wir, dass es uns offenbar
in der Breite nicht gelingt, die existentielle Relevanz und die
gesellschaftliche Bedeutung des Glaubens plausibel zu machen.
Gleichwohl zeigt die V. KMU - und zwar stärker als je zuvor,
welche entscheidende Funktion die Institution Kirche für den
individuellen Glauben hat. Bricht personale kirchliche
»Interaktionspraxis« ab, so sinkt nicht nur das Gefühl der
Verbundenheit mit der Kirche, sondern auch die individuelle
Religiosität wird abgeschwächt. Man kann also sagen: Auch die als
privat reklamierte, unkirchliche Frömmigkeit lebt von
Voraussetzungen, die sie selbst nicht geschaffen hat.
Interessiert hat uns bei dieser KMU besonders, welche Rolle die
digitalen Medien in der religiösen Kommunikation spielen. Die
Ergebnisse zeigen, dass religiöse Kommunikation als personaler
Austausch im Wesentlichen in privaten Räumen und unter Anwesenden
(face-to-face) stattfindet. Die digitalen Medien spielen bei einem
derart privaten und von wechselseitigem Vertrauen geprägten Austausch
in der religiösen Kommunikation gegenwärtig keine große Rolle
spielen. Bemerkenswert ist zudem die geringe Bedeutung des Internets
als Informationsquelle für Kirchenmitglieder. Die Werte der häufigen
bzw. gelegentlichen Nutzung des Internets bei der
Informationsbeschaffung zu kirchlichen Themen sind angesichts der
Bedeutung, die dem Internet in den publizistischen Debatten
beigemessen werden, auffallend niedrig. Was das bedeutet, ist bei den
Schlussfolgerungen für kirchenleitendes Handeln noch genau zu
bedenken.
Es gilt das gesprochene Wort!
Landesbischof Prof. Dr. Heinrich Bedford-Strohm
Evangelisch-Lutherische Kirche in Bayern
Statement anlässlich der Vorstellung der Fünften
Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung (V. KMU) "Engagement und
Indifferenz" am 6. März 2014 in Berlin
In den vergangenen Jahren hat die Frage nach der Bedeutung
religiöser Prägungen für den Zusammenhalt der Gesellschaft unter dem
Begriff »Sozialkapital« verstärkt auch in religionssoziologischen
Untersuchungen Einzug erhalten, so auch in die V. KMU. Die Ergebnisse
weisen im Zusammenhang mit den Stichworten "Engagement" und
"Vertrauen" deutlich auf die Potenziale des Protestantismus in der
Gesellschaft hin.
So beteiligen sich immerhin ein Fünftel der Kirchenmitglieder
aktiv an kirchlichen und religiösen Gruppen. Darüber hinaus
engagieren sie sich zudem häufiger als Konfessionslose in
nichtkirchlichen Gruppen und Vereinen. Weite Kreise des
ehrenamtlichen Engagements in Politik und Kultur, in Gesundheit und
Parteien sind sozusagen protestantisch geprägt. Auch zeigt die V. KMU
ein überdurchschnittlich hohes Vertrauen der evangelischen Christen
in andere Menschen. Dieses Vertrauen beschränkt sich nicht auf die
Angehörigen der eigenen Religionsgemeinschaft, sondern erstreckt sich
(mit Abstrichen) auch auf andere Religionen und Weltanschauungen.
Dabei zeigt sich ein enger Zusammenhang zwischen sozialem
Engagement und dem Vertrauen in andere Menschen: Die Mitarbeit in
kirchlich getragenen Aktivitäten hat eine positive Wirkung auf die
Ausbildung von interpersonalem Vertrauen. In diesem Sinne trägt die
Mitgliedschaft in der evangelischen Kirche in mehrfacher Weise zum
Zusammenhalt der Gesellschaft bei. Personen, die sich religiös
engagieren, sind auch in anderer Hinsicht besonders aktiv im
Ehrenamt. Generell stellt die evangelische Kirche durch ihre
Mitglieder einen relevanten Fundus an Sozialkapital zur Verfügung,
der als wesentliche Ressource für den Zusammenhalt der politischen
Gemeinschaft erkennbar wird.
Konkretes diakonisches Engagement der Kirche erfährt eine sehr
hohe Zustimmung - auch bei Konfessionslosen. Allerdings werden die
diakonischen Einrichtungen von Evangelischen und Konfessionslosen
gleichermaßen wenig als sozialer Beitrag der Kirche wahrgenommen. Das
erscheint als gewaltige Herausforderung. Denn es widerlegt die immer
wieder wahrzunehmende Meinung, die Kirche rede nur, aber sie handle
nicht dementsprechend. Dass die Diakonie eine Erscheinungsform der
Kirche ist, müssen wir deutlicher machen!
Ein besonderer Fokus der V. KMU verbindet sich schließlich mit der
Lebenszufriedenheit der Befragten. Im Blick auf diese komplexe Größe
zeigt sich: Religiosität ist ein wichtiger Faktor für die
Lebenszufriedenheit. Interessanterweise hat neben der von der
Konfession zunächst unabhängigen Religiosität auch die
Kirchenmitgliedschaft Einfluss auf die Lebenszufriedenheit: Diese ist
bei Mitgliedern der evangelischen Kirche im Durchschnitt höher als
bei Konfessionslosen.
In einer Zeit, in der das Thema "Glück" ein Megathema ist, sollten
wir als Kirche deutlich machen, warum der christliche Glaube eine so
kraftvolle Grundlage für ein erfülltes, ein glückliches Leben ist!
Wer wahrnimmt, wie stark die von den Glücksforschern ermittelten
Themen genau die zentralen Themen der Bibel sind, wird von der engen
Korrelation von Glaube und Lebenszufriedenheit nicht überrascht sein!
Pressekontakt:
Evangelische Kirche in Deutschland
Reinhard Mawick
Herrenhäuser Strasse 12
D-30419 Hannover
Telefon: 0511 - 2796 - 269
E-Mail: reinhard.mawick@ekd.de
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