Neue Westfälische (Bielefeld): Kommentar
Flüchtlingsdrama im Mittelmeer
Schande
CARSTEN HEIL
Geschrieben am 11-04-2014 |
Bielefeld (ots) - Es ist eine Schande, und diese Schande wird noch
lange anhalten. Es wird Hunderte, ja Tausende Todesopfer geben in den
kommenden Jahren - und wirksame Hilfe ist schwer zu organisieren,
fast unmöglich. Viele werden ihre Flucht nicht überleben. Nicht die
Zeitspanne zwischen dem 4. und 6. Jahrhundert n. Chr. ist das wahre
Zeitalter der Völkerwanderung, sondern die Gegenwart ist es.
Tausende, nein Hunderttausende Menschen aus Afrika wollen das
rettende Ufer Europa erreichen. 6.000 waren es allein in den
vergangenen Tagen. Sie fliehen aus der Heimat, verlassen ihre
Familien, Frauen und Kinder, weil sie es einfach nicht mehr
aushalten. Und vielleicht in der Hoffnung, in Europa so Fuß zu
fassen, dass sie die Daheimgebliebenen unterstützen können. Die
Gründe sind vielfältig: Armut, Bürgerkriege, Hunger, Tod,
Perspektivlosigkeit. Auf solch eine abenteuerliche Flucht begibt sich
niemand leichtfertig. Niemand. Deshalb darf in Europa auch nicht
leichtfertig darüber hinweggesehen werden, was gerade geschieht.
Italien und andere südeuropäische Länder dürfen nicht mit dem Problem
alleingelassen werden. Allein in Libyen sollen 600.000 zum Übersetzen
bereite Menschen sitzen. Europa muss helfen. Aber auch Europa wird
nicht in der Lage sein, diese Situation zu bewältigen. Die
Flüchtlingsfrage ist eine Weltaufgabe, ein Thema für die UNO. Denn
woanders sieht es nur geringfügig besser aus. Die USA schotten sich
nach Mexiko ab mit ebenso hohen Zäunen wie Spanien in Melilla. Und
was passiert, wenn Menschen aus Asien vor Umweltzerstörung und
Kriegen fliehen, sich ebenfalls nach Europa in Bewegung setzen? Erst
in der vergangenen Woche hat ein UN-Bericht darauf hingewiesen, dass
der Klimawandel weltweit zunehmend zu gewaltsamen Konflikten führen
wird. Ein weiterer Grund für weltweite Fluchtwellen. Was tun? Mehr
Menschen in Europa, und zwar in ganz Europa, aufnehmen? Unmöglich
oder doch nur begrenzt, gekoppelt an Quoten. Das würde Europa
überfordern, die Sogwirkung nur noch verstärken und zudem Afrika
weiter ausbluten, denn nur die Stärksten kommen durch, und die fehlen
in ihrer Heimat. Unterlassen wird man es nicht können. Ein
großangelegtes Hilfsprogramm für Afrika starten, damit die Menschen
in ihrer Heimat Hoffnung schöpfen und dort bleiben? Unmöglich. Seit
Jahrzehnten versucht Entwicklungshilfe, versuchen
Hilfsorganisationen, Perspektiven zu geben. Oft selbst hilflos und
mit falschem Ansatz. Wer weiß schon, was wirklich hilft? Außerdem:
Hilfe aus dem Westen hat oft nicht das gewünschte Ergebnis gebracht.
Und diese Strategie würde Europa ebenfalls überfordern. Ein so großer
Kontinent wie Afrika mit einer guten Milliarde Menschen bei extremer
Bevölkerungsexplosion ist nicht binnen weniger Jahre neu
aufzustellen. Dennoch: besser, als nichts zu tun. Den Westen weiter
abschotten, die Zäune erhöhen, mehr Flüchtlinge absaufen lassen?
Unmöglich. Das können zivilisierte Menschen mit Achtung vor dem Leben
nicht vorschlagen. Den zynischen Schleuserbanden mit Gewalt das
Handwerk legen? Ein richtiger Schritt, aber keine echte Lösung im
Sinne der Menschen. Es bleibt Rat- und Hilflosigkeit. Oder der
Versuch, von allem wenigstens etwas zu tun. Deshalb wird die Zeit der
Schande lange andauern. Reiche Länder müssen mit ihr leben, viele
Flüchtlinge werden mit ihr sterben.
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Telefon: 0521 555 271
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