Börsen-Zeitung: Der wertlose Euro, Kommentar zur Europäischen Zentralbank von Bernd Wittkowski
Geschrieben am 09-06-2014 |
Frankfurt (ots) - Was nichts kostet, ist nichts wert. Das wusste
schon Albert Einstein, das weiß der Volksmund, und das weiß jeder
kluge Kaufmann. Insofern ist der Euro wertlos. Schon länger galt für
Einlagen der Banken bei der Europäischen Zentralbank (EZB) der
Nulltarif. Nach den jüngsten Beschlüssen des EZB-Rats müssen sie
dafür sogar einen Strafzins von 0,1% zahlen. Wann werden die Sparer,
die seit Jahr und Tag mit Magerzinsen unterhalb der Teuerungsrate
abgespeist und damit real enteignet werden, bei Banken und Sparkassen
einen Obolus dafür entrichten müssen, dass sie dort ihr Geld
aufbewahren dürfen?
Ganz nebenbei: Dass die SPD ausgerechnet in diesen Wochen
angesichts von Null- und Minuszinsen penetrant für die Abschaffung
der Abgeltungsteuer wirbt und Kapitalerträge mit dem persönlichen
Steuersatz belasten will, ist geradezu drollig. Auf die Idee können
nur Kabarettisten kommen. Oder Politclowns.
Bevor nun die ökonomischen Oberlehrer protestieren: Ja, mit dem
Euro kann man nach wie vor einkaufen gehen; als Zahlungsmittel ist er
bis dato sogar relativ wertstabil. Ja, der Euro dient weiterhin als
Recheneinheit und Vergleichsmaßstab für geldwerte Leistungen und
Waren. Und ja, der Euro hat einen Außenwert, der im Devisenhandel aus
Angebot und Nachfrage ermittelt wird. Aber die andere Funktion des
Geldes, jene des Wertaufbewahrungsmittels, ist in Teilen ebenso außer
Kraft gesetzt wie die Steuerungsfunktion des Zinses. Das Sparen, der
Versuch, den Wert des Geldes über die Zeit zu konservieren, wird
unter Strafe gestellt. Was das Preisschild betrifft, ist das eine
neue Dimension. Real, unter Berücksichtigung der teuerungsbedingten
Geldentwertung, gilt es schon lange und trifft gerade auch die
privaten Sparer: Wer spart, der entspart, jedenfalls bei kürzerem
Anlagehorizont.
Historisch und hysterisch
Wenn das Aufbewahren von Geld nun auch nominal mit einem negativen
Preis belegt wird, ist die Wirkung, zunächst vor allem die
psychologische Wirkung, noch mal eine ganz andere. Es ist fürwahr ein
historischer Einschnitt mit im Detail noch unabsehbaren, aber
potenziell allemal fatalen Folgen für die Sparkultur, die
Altersvorsorge und den volkswirtschaftlichen Geldkreislauf. Die
Lehrbücher müssen umgeschrieben werden. Man weiß nur noch nicht, nach
welchen Erkenntnissen. Zinsen auf "Spar-Geld", heißt es in einer
Schrift der Bundesbank, bekomme man als Entschädigung dafür, dass man
zeitweise auf die Verfügbarkeit seines Geldes verzichte. So absolut
stimmt das nicht mehr, und wer weiß, wie weit die EZB ihr Null- und
Negativzinsspiel noch auf die Spitze treiben wird, wenn auch die
jüngste Verzweiflungstat ihr Ziel verfehlen sollte?
Wie sehr muss im Frankfurter Eurotower die Panik grassieren, wenn
der EZB-Rat nicht nur historisch, sondern auf der Jagd nach dem
Deflationsgespenst offenbar auch derart hysterisch handelt? Und wie
tief muss Euroland sieben Jahre nach Beginn der Finanz- und
Schuldenkrise noch im Schlamassel stecken, wenn die Euro-Hüter sich
zu diesen drastischen Maßnahmen entschließen und sich geradezu
tollkühn auf geldpolitische Terra incognita vorwagen?
Mach mir den Draghi
Eines haben Mario Draghi und Kollegen erreicht: Kaum hatte am
Donnerstag die Pressekonferenz des EZB-Präsidenten begonnen, schoss
das deutsche Börsenbarometer Dax erstmals in seiner Geschichte über
die Marke von 10000 Punkten. "Mach mir den Draghi", riefen die
Aktienhändler - und pumpten die Assetpreisblase weiter auf. Eine
anschaulichere Symbolik für die verhängnisvolle Abhängigkeit des
ganzen europäischen Wirtschafts- und Kapitalmarktgeschehens von der
Geldpolitik kann man sich nicht vorstellen.
Als "Zentralbankverwaltungswirtschaft" hat Michael Klaus, Partner
des Bankhauses Metzler, kürzlich dieses System unter Anspielung auf
gescheiterte sozialistische und andere Modelle sehr treffend
bezeichnet. Dabei springen die Verantwortlichen von einer
Eskalationsstufe zur nächsten. Nun zu allem Überfluss noch
"zielgerichtete Tender", also an die Kreditvergabepraxis der Banken
geknüpfte Geldspritzen und anderes Teufelszeug. Warum finanziert die
EZB die Unternehmen nicht gleich direkt? Es fällt doch ohnehin kaum
noch auf, dass die Notenbank permanent die Grenzen ihres Mandats
testet und sie gelegentlich überschreitet.
Kritiker der Schulden- und Haftungsunion - das mögen durchaus
überzeugte Europäer und sogar Befürworter des Euro sein - können sich
bestätigt fühlen. Belegen die Ratsbeschlüsse doch einmal mehr die
Umverteilung von Gläubigern zu Schuldnern, von Privat zum Staat, von
Nord nach Süd. Auf diese Weise spaltet nicht nur die Finanzpolitik,
sondern auch die Geldpolitik zunehmend die europäische Gesellschaft.
Selbstverständlich sind nicht zuletzt die deutschen Sparer und
Lebensversicherungskunden die Gelackmeierten.
Auf die von der EZB erhoffte Wirkung des Maßnahmenbündels wird man
indes vergeblich warten. Im Gegenteil: Es wird sich als
kontraproduktiv erweisen. Wer sich von der Senkung des Leitzinses für
Hauptrefinanzierungsgeschäfte um einen Zehntelpunkt auf 0,15%
realwirtschaftliche Impulse verspricht, versteht die Zusammenhänge
nicht. Derweil werden die Banken, denen es ja mitnichten an
Liquidität mangelt, durch den Negativzins in Kreditrisiken
hineingetrieben, die sie nach betriebswirtschaftlichen Kriterien
nicht eingehen dürften. Für die Reparaturarbeiten bei Südeuropas
Zombiebanken kommt dann später wieder der Steuerzahler auf. Und den
Regierungen kauft die EZB wieder einmal Zeit, wie es so schön heißt -
Zeit, um die überfälligen Wirtschaftsreformen und
Haushaltskonsolidierungen noch weiter zu verschleppen. Es ist einfach
abartig.
Pressekontakt:
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Redaktion
Telefon: 069--2732-0
www.boersen-zeitung.de
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