Neue Westfälische (Bielefeld): Kommentar
Krieg um Gaza
Verhältnismäßigkeit gewinnt
CARSTEN HEIL
Geschrieben am 01-08-2014 |
Bielefeld (ots) - Man kann nur versuchen, sich vorzustellen, wie
es im Gazastreifen dieser Tage zugeht. Wirklich nachzuvollziehen ist
das Elend aus dem sicheren Deutschland heraus nicht. Das Gebiet des
Küstenstreifens umfasst 360 Quadratkilometer. Zum Vergleich: Der
Kreis Herford hat 450 Quadratkilometer Fläche. Im Herforder
Kreisgebiet leben gut 250.000 Menschen; im Gaza-Streifen 1,8
Millionen, er ist einer der am dichtesten besiedelten Landstriche der
Erde. Wer Bomben auf diesen Flecken wirft, muss zwangsläufig immer
Menschen treffen. Menschen, die für den Konflikt mit Israel
mitverantwortlich sind, aber auch völlig unschuldige: Männer, Frauen
und Kinder. Es muss für die Bewohner die Hölle sein. Wo sollen sie
hin? Wo Schutz finden vor den Bombenangriffen und Panzergranaten?
Überall, wo sie hingehen, sind sie genauso in Gefahr wie dort, wo sie
herkommen. Aber es ist auch richtig, dass fortwährend Raketen aus
Bunkern, Tunneln und Häusern dieses Landstriches auf Menschen in
Israel abgefeuert werden. Sie treffen ebenfalls unschuldige Menschen:
Männer, Frauen und Kinder. Auf dieser Seite sind die Opfer nur
deshalb nicht so hoch, weil die israelische Seite nicht so dicht
besiedelt und die Feuerkraft der Hamas nicht so groß ist wie die der
israelischen Armee. Die Hölle ist es gleichwohl auch für die
Israelis, besonders für die rund 90.000 Soldaten und Reservisten im
Einsatz und ihre Angehörigen. Es ist eine Selbstverständlichkeit,
dass ein Staat das Recht hat, seine Bürger vor Angriffen zu schützen.
Die Palästinenser im Gazastreifen haben 2006 mit der Hamas ihre
politische Führung selbst gewählt. Diese international als
Terrorgruppe bezeichnete Organisation stammt von den Muslimbrüdern
ab, die seit Jahrzehnten eine radikale islamistische Politik
verfolgen. Und Hamas hat sich im Kampf gegen Israel weiter
radikalisiert. Niemand hat die Menschen in Gaza-Stadt, Khan Yunis,
Rafah und Nuseirat damals gezwungen, die Hamas zu wählen. Jetzt nimmt
diese Terrorgruppe ihre eigene Bevölkerung als Geisel. Deren Kämpfer
verstecken sich unter der Zivilbevölkerung. Politisch und
wirtschaftlich ist die Organisation selbst in der arabischen Welt
weitgehend isoliert. Die frühere Schutzmacht Syrien ist dabei, sich
selbst zu zerfleischen, außerdem stellte sich die Hamas zu Beginn des
Bürgerkrieges gegen ihren langjährigen Förderer Assad, der nun aber
wieder Oberwasser in Damaskus hat. Ägypten versucht seit dem
Rückschwung nach dem politischen Frühling alles zu zerstören, was
auch nur in der Nähe der Muslimbrüder ist. Zu erfolglosen
Verhandlungen reicht Kairos Einsatz gerade noch, wie die am Freitag
schnell gebrochene Waffenruhe zeigt. Lediglich auf Neuförderer Katar
kann die Hamas-Führung etwas Hoffnung setzen. Die wird aber nicht
reichen, den Krieg zu gewinnen. Rücksichtslos und ohne Aussicht auf
Erfolg opfert die Hamas weiter das eigene Volk. Daraus folgt: Israel
kann den Krieg militärisch nicht verlieren - aber politisch. Den
Angriff auf die unter UN-Schutz stehende Schule in dieser Woche - und
es war der Armee bekannt, dass dort über 3.000 Flüchtlinge
Unterschlupf gefunden hatten - schadet der einzigen Demokratie im
Nahen Osten mehr als alle Hamas-Raketen zusammen. Er birgt für
Jerusalem erstens die Gefahr weiteren internationalen Imageverlustes
bis hin zu weitgehender Isolation. Und zweitens: Niemand weiß, was
käme, wenn Israel sein Ziel erreichte und die Hamas zerschlüge.
Bisher kamen im Nahen Osten nach solchen Erfolgen immer nur noch
radikalere Kräfte nach oben, unter Beteiligung der aktuellen
Führungskader. Beides wäre für die Hamas ein Erfolg und kann nicht im
Interesse Israels liegen. Kehrt Israel zur Politik der
Verhältnismäßigkeit zurück, gewinnt der jüdische Staat.
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