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Mittelbayerische Zeitung: In der Trutzburg Bayreuth wird es ungemütlicher. Wagner ist kein Selbstläufer mehr. Leitartikel "Wotan, hilf!" von Claudia Bockholt

Geschrieben am 03-08-2014

Regensburg (ots) - Es gärt und grummelt am Grünen Hügel. Das
Rumoren kommt nicht aus dem Inneren der gewaltigen Biogasanlage im
"Tannhäuser", deren Sinn sich auch im vierten Aufführungsjahr nicht
erschließen will. Es ist schlimmer: Die Festspiele drohen den Nimbus
der Exklusivität zu verlieren, der Heilige Gral der Wagnerianer
verliert an Glanz. Wochen vor dem Start soll es noch Karten gegeben
haben. Der Schwarzmarkt ist zusammengebrochen. Die Kanzlerin kam
nicht zur Eröffnungspremiere, bei der auch noch die Bühnentechnik
streikte. Beim "Ring" wollen Kritiker vereinzelt freie Plätze
ausgemacht haben. Wotan, hilf! Das hat es noch nie gegeben. Zwar
sinkt die Nachfrage nach Karten in Bayreuth seit Jahren, doch noch
immer überstieg sie das Kartenkontingent locker um das Zehnfache.
Jahr für Jahr wollten rund eine halbe Million Menschen einmal den
unvergleichlichen Orchesterklang im Festspielhaus hören, die teuren
Roben sehen, die lächerlich teure Hummerbratwurst kosten. Wartezeiten
von zehn Jahren waren nicht unüblich. Nach der Rüge des
Bundesrechnungshofs mussten jedoch mehr Karten in den freien Verkauf
gehen. Dem Geklüngel und Geschachere, das auch die jüngst verstorbene
Wagner-Urenkelin Iris heftig kritisiert hatte, wurde ein Riegel
vorgeschoben. Für den Wagner-Clan wird es immer ungemütlicher in der
oberfränkischen Trutzburg. Wie ein Drachen hütet er seit Jahrzehnten
den Schatz des berühmten Ahnen. Doch Eva Wagner-Pasquier streicht
Ende dieses Jahres die Segel. "Steuermann, lass' die Wacht" mag man
der verbleibenden Kapitänin Katharina Wagner nicht zurufen. Zur
Partysause ist kein Anlass: Der neue "Ring" wird aller Voraussicht
nach nicht den erfolgreichen Weg des "Lohengrin" und des "Fliegenden
Holländers" gehen. Diese beiden Opern wurden anfangs in Grund und
Boden gebuht - in diesem Jahr aber vom versöhnten Publikum gefeiert.
Der berüchtigte "Stücke-Zertrümmerer" Frank Castorf hingegen wird
wohl nicht mehr zum Helden der hochsensiblen Wagnerianer werden. Aber
sind gefloppte Regiestücke überhaupt der Grund für das sinkende
Interesse? Katharina Wagner deutet es an. Sie wirft Frank Castorf
vor, das Publikum zu verschrecken. Der wiederum fühlt sich von der
künstlerischen Leitung wie ein "Idiot" behandelt. Doch das ist alles
typische Bayreuth-Folklore, kaum mehr als der Prolog eines
alljährlichen Opernspektakels, das vom öffentlichen Wallen und Wogen
der Emotionen ebenso lebt wie von seinen herausragenden Künstlern.
Kirill Petrenko, Christian Thielemann, Andris Nelsons am
Dirigentenpult, das fabelhafte Festspielorchester und der
ausgezeichnete - zuletzt mit dem International Opera Award 2014 - ,
über 130 Stimmen starke Chor, viele herausragende Stimmen: Grund
genug, warum es in diesem Jahr Wagner-Freunde aus aller Welt nach
Bayreuth zieht. Wer eine Karte ergattert, muss für diese Perlen nicht
einmal ein Vermögen hinlegen. 240 Euro kostet ein guter Platz im
Parkett. Zum Vergleich: Tickets der besten Kategorie für Udo Jürgens
in der Donau-Arena kosten 100 Euro. Auch die Frage, ob man Wagner
hören kann, ohne Antisemit zu sein, scheint allmählich geklärt. In
Israel versucht eine Gruppe Musiker und Musikfreunde seit Jahren,
Wagner im eigenen Land aufzuführen. 2011 spielte das israelische
Kammerorchester in Bayreuth das "Siegfried"-Idyll. Man weiß: Die
Lieblingsmusik des Zionisten Theodor Herzl war der "Tannhäuser". Die
Diskussion versachlicht und entspannt sich. Man muss den Grünen Hügel
nicht allein aus Political Correctness großräumig umfahren. 2015 wird
Katharina Wagner "Tristan und Isolde" inszenieren. Der Künstler
Jonathan Meese, stets für einen Skandal gut, wurde für den "Parsifal"
2016 engagiert. Und für die "Meistersinger" 2018 hat Katharina Wagner
Barrie Kosky verpflichtet, dessen Komische Oper Berlin zum Opernhaus
des Jahres 2012/2013 gewählt wurde. Für künftige Buh-Konzerte und
Beifallsstürme scheint auf Jahre gesorgt. Und es wird sich zeigen,
worauf der Nimbus Bayreuths gründete: auf Elitarismus oder
künstlerischer Klasse.



Pressekontakt:
Mittelbayerische Zeitung
Redaktion
Telefon: +49 941 / 207 6023
nachrichten@mittelbayerische.de


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