Mittelbayerische Zeitung: Leitartikel zur Bertelsmann-Studie "Partizipation im Wandel"
Geschrieben am 05-09-2014 |
Regensburg (ots) - Beinahe jeder Politiker, egal ob
Bundestagsabgeordneter oder Gemeinderat, hat ein Problem. Die meisten
Wähler trauen ihm nicht mehr über den Weg. Die Entscheidungen der
Volksvertreter werden immer häufiger hinterfragt. Der Mensch, der nur
alle Jahre mal ein paar Kreuzchen machen darf, begehrt auf. Das ist
die Erkenntnis der Studie der Bertelsmann-Stiftung "Partizipation im
Wandel", die am Freitag vorgestellt wurde. Zusammengefasst steht
dort: Die Bundesrepublik habe Nachholbedarf in direktdemokratischen
Verfahren. Mehr als zwei Drittel der 2700 Befragten wollen
Entscheidungen selber treffen. Den Bürgern, so die Studie, reicht
Wählen allein nicht mehr aus. Dabei wird die Demokratie als
Staatsform nicht infrage gestellt. Die Autoren widersprechen
ausdrücklich Vermutungen, wonach direkte Bürgerbeteiligung der
repräsentativen Demokratie schade. "Wer sich an Bürgerentscheiden
oder -dialogen beteiligt, geht mit höherer Wahrscheinlichkeit auch
zur Wahl und umgekehrt", sagt die "Staatsrätin für Zivilgesellschaft
und Bürgerbeteiligung in Baden-Württemberg", Gisela Erler. Wiederholt
fordert sie in ihrem Schlusswort eine "Politik des Gehörtwerdens" -
das eigentlich nur eine Umschreibung einer Selbstverständlichkeit
ist. Solche Studien der Bertelsmann-Stiftung, die sicher nicht ohne
eigene Interessen veröffentlicht werden, darf man kritisch sehen - im
Kern geht es aber um eine Debatte um unser politisches System, wer
darin die Regeln bestimmt, Entscheidungen trifft und nicht zuletzt,
ob Volksvertreter jede Bodenhaftung verloren haben. Welches Maß an
Beteiligung darf die Gesellschaft für sich einfordern? Wo sind die
Grenzen? All das sind Fragen, die zwar Jahrtausende älter sind als
die nun vorgelegte Studie, aber es sind Fragen, die in einer
Mediendemokratie, deren Technologie und Kommunikationskanäle immer
mehr Mitsprache ermöglichen, wieder drängender werden - und das nicht
erst seit Stuttgart 21 oder einer geplanten Stromtrasse quer durch
Deutschland. Die befragten Politiker und Behördenchefs sehen das
anders: Knapp 80 Prozent der Würdenträger wollen Entscheidungen nicht
direkt vom Bürgerwillen abhängig machen. Ihre Aussagen stehen denen
der Bürger teils diametral gegenüber. Politiker kontern das Begehren
nach mehr direkter Demokratie so: Es ist gut, dass wir nur unserem
Gewissen unterworfen sind. Wir müssen auch den Mut haben, unpopuläre
Entscheidungen zu treffen (siehe Unterkünfte für Asylbewerber). Bitte
macht uns nicht noch weiter handlungsunfähig. Möglichkeiten zur
Teilhabe gibt es doch zur Genüge. Politische Prozesse lassen sich
nicht immer auf Ja-und-Nein-Fragen bei Volksentscheiden festlegen.
Wenn es nur um Mehrheiten geht, wer schützt dann Minderheiten? Dabei
stellt sich gerade heute die Frage: Begünstigt die Eitelkeit und
Unnahbarkeit (siehe Haderthauer) des bestehenden Politikbetriebs
nicht gerade Populisten und Verdrossenheit? Die Legitimation einer
parlamentarischen Demokratie leitet sich aus der Zustimmung ihrer
Bürger ab. Doch dort wo, Bürger sich von ihren Vertretern nicht mehr
repräsentiert fühlen, entsteht ein Nährboden für Verdrossenheit und
Ablehnung. Das jüngste Beispiel dafür ist erst wenige Tage alt: In
Sachsen entfallen fast 15 Prozent der Stimmen auf Protestparteien,
die Wahlbeteiligung sinkt auf ein historisches Tief. All das passiert
in einem Land, das derzeit in keiner Krise steckt. Mehr Beteiligung
der Bürger stärkt zwangsläufig ihre Zufriedenheit mit Politikern,
Entscheidungen werden transparenter, das Verständnis steigt. Dann
steigt auch wieder die Wahlbeteiligung. Und das muss jedem
Volksvertreter Ansporn sein.
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Mittelbayerische Zeitung
Redaktion
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