Westfalen-Blatt: Das WESTFALEN-BLATT (Bielefeld) zur Frankfurter Buchmesse
Geschrieben am 07-10-2014 |
Bielefeld (ots) - Und der Haifisch, der hat Zähne, und die trägt
er im Gesicht - wohl wahr, aber Brechts Haifisch ist alt geworden, er
kaut schon mit den dritten Zähnen. Mackies Messer allerdings, das man
damals nicht sah, bleibt scharf, und fast scheint es, als wollte
deswegen die Buchbranche gar nicht genau hinschauen, wie Jeff Bezos
mit dem Messer um die Ecke biegt.
Wenn heute die Frankfurter Buchmesse beginnt, wird man Jeff Bezos
nirgends erblicken - aber er ist anwesend, er wird neben jedem der
7000 Aussteller stehen, und er wird jeden einzelnen der 300 000
Besucher durch die Halle begleiten. Jeff Bezos ist der Boss des
Haifisches Amazon: Die Buchkäufer hat er mittlerweile verschluckt -
jetzt umkreist er die Buchautoren. Gerade hat die Branche die
Beißattacke des kleinen Fisches E-Book überstanden und freut sich
darüber, dass der E-Commerce 2013 den Rückwärtsgang einlegen musste
(- 0,5 Prozent). Die Freude ist verständlich, aber jetzt gilt es sich
zu fragen, was es bedeutet, wenn der Hai im Verlagswesen dieselbe
Marktmacht entfalten will, die er als Buchhändler längst ausübt.
Deutschland, das lange sanft in Ludwig Erhards Armen, der sozialen
Marktwirtschaft, schlummerte, hat erkennbar Probleme, sich im
deutlich nassforscheren Klima der freien Marktwirtschaft
zurechtzufinden. Viele Branchengrößen glauben allen Ernstes, ein
simpler Abwehrreflex werde reichen: Man bietet einfach die von Amazon
verlegten Titel nicht beim Buchhändler an. »Amazon saugt Masse ab,
wird aber keine Klasse bekommen«, behauptet Hans-Peter Übleis von
Droemer Knaur.
Wenn der Schuss mal nicht nach hinten losgeht. Der Leser hat sich
Amazon bereits ergeben wie das naive Robbenbaby dem kalten Jäger. Das
bestellte Buch wird frei Haus geliefert - Herz, was willst du mehr!
Dafür lass ich mich gerne fressen, sprich: mir heute die Titelauswahl
diktieren und morgen die Preise. Als nächstes wird die Branche, wenn
sie nicht aufpasst, Arm und Bein verlieren, sprich: marktfähige
Autoren an den aggressiven Werber abgeben müssen. Es folgt die finale
Phase (in die die USA übrigens bereits eingetreten sind): Literatur
nach Schema F. Jeff Bezos hat mehrfach ungeniert eingestanden, er
sehe im Leser nichts anderes, als den Datenlieferanten für künftig zu
fabrizierende Texte. Seine Autoren verwursten diese Daten zu exakt
den Geschichten, die der computergenerierte Algorithmus ausspuckt.
Ein furchtbarer Gedanke. Ideen und Gedanken zirkulieren fortan
nicht mehr im freien Spiel der literarisch Kreativen. Bald blubbert
es bloß noch leise im Bauch des Hais: unverdaulicher Textbrei. Wenn
die Frankfurter Buchmesse wirklich eine Leistungsschau sein will,
muss sie mehr können, als nur bedrucktes Papier auszustellen. Dann
muss sie den Kampf um den Fortbestand der Buchkultur aufnehmen. Und
um ihrer Millionen Leser willen muss sie ihn sogar gewinnen.
Pressekontakt:
Westfalen-Blatt
Nachrichtenleiter
Andreas Kolesch
Telefon: 0521 - 585261
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