Mittelbayerische Zeitung: Leitartikel von Pascal Durain zu Unwort des Jahres/Pegida
Geschrieben am 13-01-2015 |
Regensburg (ots) - Montagabend, kurz nach 19 Uhr: In Dresden
marschieren wieder Zehntausende gegen die "Islamisierung des
Abendlandes", sie tragen Trauerflor im Gedenken an die ermordeten
Charlie-Hebdo-Redakteure, viele Kameras und Mikrofone sind auf sie
gerichtet. Das ZDF bittet seinen Reporter zur Live-Schalte, während
im Hintergrund die Massen und wehenden Deutschland-Flaggen an ihm
vorbeiziehen. Der Reporter sagt, dieses Mal seien mehr Leute nach
Dresden gekommen, die Stimmung sei ernster, viele tatsächlich
betroffen durch die Ereignisse von Paris - aber auch
Lügenpresse-Sprechchöre habe er immer wieder vernommen. Und dann
geschieht etwas, das kein Reporter planen kann: Ein Mann mit einer
Uschanka (der Inbegriff der russischen Kopfbedeckung), mit Kippe in
der Hand und Wut im Bauch, drängt sich ins Bild. Sein Name ist
Stephane Simon, der im Dezember als offizieller Redner bei einer
Pegida-Demo auftrat. Er schreit in die Kamera: "Lügner, ihr seid alle
Lügner! (...) Schaltet Eure Scheiß-Kameras ab!" In den Hintergrund
stellen sich Männer mit "Multikultur tötet"-Schildern. Das ZDF-Studio
bricht die Übertragung ab, die Informationen seien trotzdem
rübergekommen. 15 Stunden später verkünden Sprachwissenschaftler das
Unwort des Jahres. Und wieder mahnt die Jury nach "Sozialtourismus"
oder "Döner-Morde" damit den Zeitgeist an: 2014 - das steht für
"Lügenpresse". Ein Wort, das heute als Kampfansage durch die Straßen
hallt. Ein Wort, das für Zehntausende ein Ausdruck ist, endlich
aufzustehen und unbequeme Wahrheiten zu verkünden - und das auch noch
im Namen der Journalisten, die für ihre Haltung mit dem Leben
bezahlten. "Lügenpresse" - das ist ein Begriff mit Tradition, der
immer dann herangezogen wird, wenn man sein Handeln und seine
Wertvorstellungen nicht hinterfragen will - oder hetzen und andere
einschwören will, Augen, Ohren und Hirn zu verschließen.
"Lügenpresse" - das ist - neben "Überfremdung" (Unwort des Jahres
1993) oder "Volksverräter" - ein Kampfbegriff der Abendland-Retter.
Dass die meisten Pegida-Anhänger dabei die Nähe zu
Reichspropagandaministers Joseph Goebbels ("Die rote Lügenpresse
führt einen Verleumdungsfeldzug gegen uns durch") oder andere
geistiger Brandstifter übersehen wollen, ist dagegen weniger
verwunderlich. Wer ohnehin davon überzeugt ist, dass alles Lüge ist,
dem fällt auch das nicht schwer. Wer braucht auch schon Argumente,
wenn er eine Haltung wie "Wer nicht für uns ist, ist gegen uns" hat?
Und das Hetzen möge beginnen. Welche rhetorische Brandstiftung die
Pegida-Bewegung betreibt, wird auch bei ihrem Schlachtruf "Wir sind
das Volk" offensichtlich: Denn anders als Bürgerrechtler in der
ehemaligen DDR (deren Staatsapparat ebenfalls gern von
"kapitalistischer Lügenpresse" sprach), die mit diesen vier Worten
auf die gesamtdeutsche Bevölkerung abzielten, bezieht man sich auf
den Pegida-Protesten nur auf den Begriff "Volk". Das "deutsche Volk"
stehe als auf "Asyl-Betrüger" und "Multikulti-Wahn". Aber ein Rassist
ist hier natürlich niemand. Pegida spuckt auf demokratische Regeln,
ist ja alles nur "Gutmenschen-Getue". Hier wird nur verkündet, aber
nicht begründet. Und weil die Lügenpresse das nun mal anders macht,
sei die eben unpatriotisch. So hetzen sie weiter und bereiten all
denen einen Nährboden, die bereits Namen von Journalisten auf eine
Liste für ein zweites Kriegsverbrechertribunal ("Nürnberg 2.0")
geschrieben haben. Das Verbrechen: Schuld an der Islamisierung
Deutschlands. Kein Wunder also, dass Bernard Holtrop, Karikaturist
bei Charlie Hebdo, der während des Anschlags nicht in der Redaktion
war, über diese Solidaritäts-Bekunder sagt: "Wir kotzen auf all die
Leute, die plötzlich sagen, sei seien unsere Freunde."
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Mittelbayerische Zeitung
Redaktion
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