Prädikat "besonders wertvoll" für WIR SIND JUNG. WIR SIND STARK./Weitere Kinostarts mit Prädikat: DREI TÜRKEN UND EIN BABY und LOS ÁNGELES
Geschrieben am 21-01-2015 |
Wiesbaden (ots) - Die Deutsche Film- und Medienbewertung (FBW)
empfiehlt in dieser Woche Prädikatskino aus Deutschland quer durch
Genres und Kulturen.
Rostock 1992. Stefan ist gerade fertig mit der Schule, ist ohne
Perspektive. Von seinem Vater, einem SPD-Politiker, hat er sich
abgewandt. Seine Clique schließt sich bald dem braunen Mob an, der am
Abend des 24. August 1992 im Ortsteil Lichtenhagen Jagd auf Ausländer
macht und Brandsätze in ein Haus wirft, wo Asylbewerber untergebracht
sind. WIR SIND JUNG. WIR SIND STARK (Start: 22. Januar) von Regisseur
Burhan Qurbani. Der Spielfilm stellt die Chronologie der historischen
Ereignisse aus Sicht der Jugendlichen dar, die Bilder sind drastisch,
die Spirale der Gewalt immer sicht- und spürbar. Die fünfköpfige
FBW-Jury hob in ihrer Begründung für das höchste Prädikat "besonders
wertvoll" insbesondere den "dramaturgisch fesselnden Spannungsbogen",
das beeindruckende Spiel der Darsteller sowie die großartige
Kameraarbeit hervor.
Was passiert, wenn ein kleines Baby das Leben von drei ohnehin
schon chaotischen Brüdern durcheinanderwirbelt, davon erzählt die
sympathische Multikulti-Komödie DREI TÜRKEN & EIN BABY (Start: 22.
Januar) von Sinan Akkus, bekannt geworden durch EVET - ICH WILL.
Dabei fangen die Probleme erst an, als Celal durch einen
unglücklichen Zufall auf das Baby seiner Ex-Freundin aufpassen muss.
Missgeschicke und Missverständnisse pflastern die Handlung, und dank
gewitzter Drehbucheinfälle und dem gut aufgelegten Spiel der
Darsteller funktioniert die Komödie sehr gut. "Eine unterhaltsame,
freche Komödie, deren Witz vor allem aus dem Mit- und Gegeneinander
der drei Brüder ihren Charme bezieht." So urteilte die Expertenrunde
und vergab das Prädikat "wertvoll".
Dass das deutsche Nachwuchskino so stark wie nie ist, beweist auch
der Film des HFF München-Absolventen Damien John Harper. Sein Debüt
LOS ÁNGELES (Start: 29. Januar) wurde von der FBW-Jury bereits im
letzten Jahr als herausragend beurteilt und zudem bei vielen
renommierten Festivals ausgezeichnet. Die Jury war tief beeindruckt
von dem Drama über den 17jährigen Matteo, der in Südmexiko lebt und
sich dort mit Armut, Bandenkriminalität und Elend konfrontiert sieht.
Der einzige Ausweg scheint die Flucht nach Amerika, ins gelobte Land,
zu sein. Doch dafür muss Matteo Gefahren auf sich nehmen. Für sich
selbst und auch für seine Familie. Die FBW-Jury vergab für diesen
überzeugenden und bewegenden Spielfilm das höchste Prädikat
"besonders wertvoll". Ein Auszug aus dem Gutachten: "Alles vermittelt
sich so unmittelbar und authentisch, dass man sich weitgehend in
einem Dokumentarfilm zu finden glaubt. Faszinierend, zu welch
großartigen Leistungen der Regisseur die Laiendarsteller führte."
Weitere kommende Filmstarts mit Prädikat: ANDERSWO, DIE LETZTEN
GIGOLOS und BONNE NUIT PAPA. Mehr Informationen unter
www.fbw-filmbewertung.com.
Prädikatsfilme vom 22. bis 29. Januar 2015
Wir sind jung. Wir sind stark.
Spielfilm, Drama. Deutschland 2014.
Rostock, August 1992. Stefan ist gerade mit der Schule fertig, hat
keinen Job, keine Perspektive. Seinen Freunden in der Clique geht es
genauso. Zusammen hängen sie ab, trinken und gammeln rum. Dabei
wächst in ihnen zunehmend der Frust. Und die Wut auf die Politiker,
die ihrer Meinung nach nur die Ausländer beschützen, die in Scharen
ins Land kommen. Immer schärfer wird die Stimmung innerhalb der
Bevölkerung, die sich am Abend des 24. August im Stadtteil
Lichtenhagen in purer Gewalt entlädt. Es fliegen Molotow-Cocktails,
Häuser brennen, die Menge klatscht. Und Stefan und seine Freunde
stehen mittendrin. WIR SIND JUNG. WIR SIND STARK ist der zweite
Spielfilm des Regisseurs Burhan Qurbani, der zusammen mit Martin
Behnke auch das Drehbuch verfasst hat. Der Film behandelt einen
einzigen Tag, der sich in das kollektive Gedächtnis Deutschlands
eingeprägt hat. Es war der Tag, an dem Polizei und Politik hilflos
und ohnmächtig zusahen, wie rechtsradikale Menschen Ausländer nicht
nur offen bedrohten, sondern angriffen. Doch neben den Ereignissen,
die Qurbani erschreckend nah und authentisch inszeniert, konzentriert
sich der Film auf die Perspektive der Jugendlichen der damaligen
Zeit. Stefan und seine Freunde stehen für eine Generation junger
Menschen, die arbeits- und somit auch perspektivlos war und sich
hinter Frust und Hass versteckte. Irgendjemand musste schuld sein an
der "Lage der Nation" und für das eigene verpfuschte Leben büßen. Der
Film zeigt die verschiedenen Ausprägungen des Rechtsradikalismus auf
und wählt dafür Stellvertreterfiguren. Da ist der gewaltbereite
Anführer der Clique, ein mieser Macho, der seinen Wut an Schwachen
auslassen will, um sich selbst nicht schwach zu fühlen. Da ist
Jennie, die aus Langeweile mit der Clique rumhängt und sich einen
Spaß daraus macht, Stefan und seinen Freund Robbie gegeneinander
auszuspielen. Eine eigene Meinung hat sie dagegen nicht, denn die
will keiner wissen. Stefan selbst ist meist passiver Zuschauer, der
aus gutem Hause kommt, es besser wissen müsste, aber nicht den Mut
besitzt, die anderen von ihrem rassistischen Gedankengut abzubringen
und nicht weiß, was er will. Hauptsache nicht wie sein Vater werden,
ein SPD-Politiker, der eigentlich für Ruhe im Stadtviertel sorgen
soll. Doch er versteckt sich zuhause und steckt den Kopf in den Sand.
Devid Striesow spielt ihn mit dieser Mischung aus überforderter Panik
und hilfloser Resignation und ist damit die personifizierte damalige
Erwachsenengeneration. Überhaupt ist die Besetzung stimmig, die Typen
gut getroffen, was auch für die vietnamesischen Schauspieler gilt.
Denn auch diese Perspektive beleuchtet Qurbani. Wie ging es den
Ausländern, die im Sonnenblumenhaus in Lichtenhagen untergebracht
waren, als sie merkten, wie ihnen der blanke Hass entgegenschlug und
sie um ihr Leben fürchten mussten? Die Kamera findet kraftvolle und
atmosphärisch dichte Bilder, generell leistet der Film in visueller
Hinsicht Großes. Am Ende geht Lien, eine junge Vietnamesin, nach
draußen. Sie und ihre Familie haben den Angriff überlebt. Sie schaut
einen kleinen Jungen an. Dieser greift nach einem Stein. Der Hass ist
gesät. Und ihn auszumerzen, ist ein Kampf, der nie aufhören darf. Ein
wichtiger und hochaktueller Film aus Deutschland, der zeigt, dass das
eigentliche Verbrechen ist, zuzusehen, ohne einzugreifen. Und damit
ein Film, der mahnt, erinnert, wachmacht.
http://www.fbw-filmbewertung.com/film/wir_sind_jung_wir_sind_stark
Los Angeles
Spielfilm, Drama. Deutschland, Mexiko 2014.
Mateo ist 16 Jahre alt und lebt mit seiner Mutter, dem kleinen
Bruder und seinem Großvater in dem Dorf Santa Ana del Valle im Süden
Mexikos. Sein Vater ist vor Jahren nach Amerika gegangen, um in Los
Angeles Geld zu verdienen und der Familie zuhause ein besseres Leben
zu ermöglichen. Doch seit Ewigkeiten hat der Vater nichts mehr von
sich hören lassen. Und so soll nun Mateo über die Grenze gehen und
Geld für die Familie verdienen. Aus Angst, dort der Bandengewalt
ausgeliefert zu sein, schließt er sich im Dorf einer Gang an. Von ihr
erhofft er sich Schutz, wenn er nach Amerika geht. Doch als Danny,
der Chef der Gang, von ihm verlangt, einen Menschen zu töten, weiß
Mateo nicht, ob es das wert ist, um ins "gelobte Land" Amerika zu
gelangen. Regisseur Damian John Harper hat an der HFF in München
Regie studiert. Davor verbrachte er einige Zeit in genau dem Dorf,
dessen Leben er in seinem Debütfilm beschreibt. Gedreht hat Harper
ausschließlich mit Laiendarstellern, mit Einwohnern des Dorfes. Nur
so entsteht dieser unglaublich authentische Eindruck, der sich beim
Zuschauer eindrucksvoll und nachhaltig einprägt. Die Handkamera ist
nah bei den Protagonisten, folgt ihnen in ihrem Alltag, in ihre
Problem- und Konfliktsituationen. Alles fühlt sich echt an,
nachvollziehbar, realistisch, fast dokumentarisch. Das große
Vertrauen der Darsteller zur Regie zeigt sich an ihrem realistischen
ungezwungenen Spiel. Der Zuschauer fühlt mit Mateo und den anderen
Figuren mit, ohne dass Harper mit Musik oder zu großer Dramatik
Emotionen evozieren muss. Dies ist auch nicht nötig, denn die
Geschichte eines jungen Mannes, der von einer Gang zu kriminellen
Machenschaften gezwungen wird, ist erschütternd und mitreißend genug.
Am Ende des Films trifft Mateo eine mutige Entscheidung. Die
Konsequenzen für sein Handeln lässt der Film bewusst offen. Doch es
ist ein Ende nicht ohne Hoffnung, dass zumindest einmal alles besser
werden kann. Ein erstaunlich reifer, bewegender und authentischer
Debütfilm eines großen Talents.
http://www.fbw-filmbewertung.com/film/los_a_ngeles
Pressekontakt:
Deutsche Film- und Medienbewertung (FBW)
Schloss Biebrich Rheingaustraße 140
65203 Wiesbaden
Tel: 0611/ 96 60 04 -18
Fax: 0611/ 96 60 04 -11
info@fbw-filmbewertung.com
www.fbw-filmbewertung.com
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