Mittelbayerische Zeitung: Leitartikel von Claudia Bockholt zu Oscars
Geschrieben am 23-02-2015 |
Regensburg (ots) - Die Wachhaltedrinks und die Popcornschüsseln
sind geleert. Am Ende einer langen Oscar-Nacht dürfen wir uns die
übermüdeten Äuglein reiben und vor uns hin schimpfen: Nur ein Oscar
für Linklaters "Boyhood", wie kann das sein? Und warum wurde Michael
Keaton, der fantastische Flattermann, übergangen und statt seiner ein
junger britischer Hüpfer als bester Schauspieler ausgezeichnet? Weil
der einen Behinderten spielt, ist ja so logisch wie politisch
korrekt. Und dass David Oyelowo für seine Darstellung des Martin
Luther King nicht einmal nominiert war, ist pfeilgrad Beleg für üblen
Rassismus. Nur: Warum wurde "12 Years A Slave" 2014 dreifach
ausgezeichnet? Hm. Die alten weißen Männer in der Oscar-Akademie
breiten ihren Kritikern jedes Jahr den roten Teppich aus. Das
Herummäkeln an ihren Entscheidungen ist so sehr Teil des Rituals
geworden wie die retardierende Spannungspause zwischen dem Öffnen des
goldenen Umschlags und dem Verkünden des Gewinners. Die Feuilletons
erregen sich über ein total unpolitisches Promi-Event - und lassen
auf Facebook Modeblogger und Designer die "Tops und Flops" der
Hollywood-Roben 2015 küren. Demnach ist nicht die Missachtung von
"Selma" skandalös, sondern das Kleid von Marion Cotillard mit diesem
eigenartigen Gesäßriegel. Incroyable! Vergessen wir den Hashtag
#AskHerMore, fragen wir sie lieber, wann sie ihren Stylisten feuert.
Die Kritik daran, dass zwei Komödien die meisten Preise abgeräumt
haben, ist wieder einmal ziemlich deutsch. Das Autorenkino hängt uns
noch bleischwer an den Füßen. Wo gelacht wird, muss Til Schweiger
drin stecken - und das ist pfui. Dabei hat selbst die als durchaus
politisch gewürdigte Berlinale "Grand Budapest Hotel" im vergangenen
Jahr als preiswürdig erachtet und Wes Andersons fantastisch
fabulierender Bilderflut den Großen Preis der Jury zuerkannt.
"Birdman" wie "Grand Budapest Hotel" haben ihre ganz eigene filmische
Erzählsprache gefunden. Angesichts der Massen von Filmen, die in nie
abreißendem Strom in die Multiplexe gespült werden, ist das schon
eine Kunst. Zu tapferen Hollywood-Helden hochgejazzt wurden gestern
Patricia Arquette (Frauen), John Legend (Schwarze) und Graham Moore
(Homosexuelle). Als wäre es nicht in den letzten Oscar-Jahren längst
salonfähig geworden, sich mit der Goldstatue in der Hand als
Politaktivist zu gerieren, ja mehr noch: Als wäre es nicht
mittlerweile opportun, neben dicken Gagen auch noch Meriten für das
Gründen und Unterstützen von Hilfsorganisationen einzustreichen -
siehe Sean Penn, Angelina Jolie und zahllose andere Stars, die viel
Geld und Energie ins Branding, den Aufbau der Eigenmarke, stecken.
Vergessen wir nicht: Dies ist kein von Studenten auf die Beine
gestelltes Independent-Filmfestival in der Lüneburger Heide. Dies ist
Hollywood, dies ist die Traumfabrik. Hier sitzt nicht nur jede
Haarlocke und jede Falte des Traums von Dior - hier ist auch jedes
Wort, jede Geste von Beratern durchchoreografiert, jede Träne der
Rührung vorher von PR-Managern abgenommen. Wer in Los Angeles das
Echte, Wahre, Gute sucht - der sollte zum Arzt gehen. Die
Oscar-Verleihung ist das wichtigste Ereignis des Filmjahres. Wochen
vorher werden alle zappelig, selbst Kinomuffel, die höchstens ein
neuer Bond oder der "Herr der Ringe" vor die Leinwand kriegen, reden
mit. Wir alle, das Publikum, sind Teil dieser fast ein wenig
größenwahnsinnigen Inszenierung. Und solange die halbe Welt in der
Oscar-Nacht vor dem Fernseher sitzt, wird Hollywood im Goldrausch
weiter um sich selbst kreisen - und die maulenden, müden Cineasten
rennen hinterher.
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