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Mittelbayerische Zeitung: Joe Kaeser braucht noch Zeit - Eine evolutionäre Entwicklung wäre viel besser als immer wieder mal ein Umbruch. Von Bernhard Fleischmann

Geschrieben am 09-06-2015

Regensburg (ots) - Es ist Umbauzeit bei Siemens. Mal wieder. Es
stellt sich die Frage: Wann wird bei Siemens eigentlich nicht gerade
umgebaut? Das ist das eigentlich Bedenkliche. Um richtig verstanden
zu werden: In einem Großkonzern mit mehr als 340 000 Mitarbeitern
rund um den Globus gibt es jederzeit Handlungsbedarf.
Geschäftsprozesse müssen überdacht, Strategien angepasst und die
besten Produkte hergestellt werden. Idealerweise passiert das alles
in einem evolutionären Fluss. Stete Anpassung ist normalerweise viel
erfolgreicher als ein steter Wechsel zwischen Umbruch und Abwarten,
ob dieser denn wirkt - und dann folgt wieder Umbruch, weil es eben
meist nicht so recht passt. Die Nachteile eines solchen
Führungsstakkatos liegen auf der Hand. Vieles wird mit viel Gewalt,
dafür mit umso weniger Expertise begonnen. Die Mitarbeiter sind
zutiefst verunsichert, fühlen sich wie handlungsunfähige
Crewmitglieder auf einem Riesenschiff, dessen Kapitän feststellt,
dass die Fuhre zu langsam ist und deshalb dazu bereit ist, einige der
Mitfahrer per Rettungsboot von Bord zu bugsieren. Zwar mit Proviant
ausgestattet, aber mit begrenzten Spritreserven, die Zweifel daran
lassen, ob man Land erreicht. Das ist der Grund für die Proteste
dieser Tage. Die Mitarbeiter wollen eigentlich, dass das Schiff
verbessert wird. Sollten es dennoch einige von ihnen verlassen
müssen, dann mit bestmöglicher Rettungsausstattung. Ganz anders sehen
das die Eigentümer des Riesentankers Siemens. Sie wollen
schnellstmöglich ordentliche Gewinne sehen. Nun verdienen die
Münchner nicht wirklich schlecht. Aber weniger als der immer wieder
zum Vergleich herangezogene US-Wettbewerber General Electric. Dort
hat man sich auf einen kooperativen Führungsstil und eine
evolutionäre Wachstumsstrategie besonnen. Vorbei die Zeiten, als der
damalige, für seine rabiaten Methoden berüchtigte GE-Chef Jack Welch
sich den Spitznamen "Neutronen-Jack" verdiente - eine Anspielung auf
die Wirkung der Neutronen-Bombe, die Menschen auslöscht, Maschinen
und Gebäude aber verschont. Allein die Interessen der Aktionäre
sollten die Entscheidungen von Unternehmen bestimmen, meinte er
damals - und handelte auch so. Später packte ihn tiefe Reue.
Shareholder Value sei "die blödeste Idee der Welt". Stattdessen seien
Mitarbeiter, Kunden und Produkte wichtig. Das sollte mittlerweile
überall konsensfähig sein. Der Siemens-Boss will nichts anderes
erreichen. Aber die Arbeitnehmer zweifeln mittlerweile daran, dass
sich der vor zwei Jahren von ihnen höchst willkommen geheißene Joe
Kaeser als der erhoffte Glücksgriff erweist. Die im Februar
verkündete Neustrukturierung und Entbürokratisierung hatte
weitestgehend das O.k. der Arbeitnehmervertreter, obwohl es Stellen
kostete. Dagegen stoßen die nun verkündeten Einschnitte in
Produktionsbereichen auf Widerstand. Verunsichert sind Mitarbeiter
wie Anteilseigner gleichermaßen über den Kauf des US-Unternehmens
Dresser-Rand. Diese Firma verdient vor allem am Fracking. Also zum
Zeitpunkt des Erwerbs durch Siemens noch gut, was den Kauf teuer
machte. Mittlerweile haben sich die Geschäfte mit Fracking massiv
verschlechtert. Dresser-Rand hat viel Potenzial - als sündteurer
Fehlkauf in die Siemens-Annalen einzugehen. Es geht einiges daneben,
was Kaeser angepackt hat. Dennoch sollten Investoren und Arbeitnehmer
Geduld aufbringen. Kaeser ist kein Arbeitnehmer-Fresser und weiß, was
ein börsennotiertes Unternehmen bieten sollte. Es wäre schön, wenn er
beweisen könnte, dass dies kein Gegensatz ist. Dafür braucht er
Geduld und Zeit.



Pressekontakt:
Mittelbayerische Zeitung
Redaktion
Telefon: +49 941 / 207 6023
nachrichten@mittelbayerische.de


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