Börsen-Zeitung: Angst vor der großen Krise,
Kommentar zum Ölmarkt von Christopher Kalbhenn
Geschrieben am 22-01-2016 |
Frankfurt (ots) - In einem Punkt sind sich Strategen und Analysten
weitgehend einig gewesen, als sie ihre Prognosen für das Jahr 2016
erstellten: Die Marktteilnehmer müssen sich auf anhaltend hohe,
vielleicht sogar weiter zunehmende Volatilität einstellen. Nach den
ersten drei Wochen des Jahres wird sich da wohl kaum noch Widerspruch
regen.
Dass die Risiko-Assets quasi aus dem Stand gleich zu Beginn und
auch noch derart drastisch absacken, hat niemand vorausgesagt. Aktien
und Rohstoffe sind in den freien Fall übergegangen,
Unternehmensanleihen, ob Investment Grade oder High Yield,
verzeichnen starke Spread-Ausweitungen. Erschrecken war auch, dass
nach dem südafrikanischen Rand mit dem Rubel nun schon die zweite
Schwellenländerwährung in diesem Jahr einen "Flash Crash" erlitten
hat. Um bis zu 4,5% auf ein Rekordtief von 86 Rubel pro Dollar
stürzte die russische Währung am Donnerstag ab, und auch in diesem
Fall gab es keine richtig zufriedenstellende Erklärung für den
Vorfall.
Die Stimmung lässt sich nur noch mit Angst zutreffend beschreiben.
An den Märkten grassiert die Sorge vor einer weltweiten Rezession,
vor einer neuen Krise im Stile des Lehman-Desasters. Geschürt wird
dies von vielen Faktoren, die teilweise schon seit langem
verunsichern. Die Verlangsamung des Wachstums in China, der Druck auf
die Schwellenländer insgesamt, steigende Ausfallrisiken, der Verfall
der Rohstoffpreise und dabei insbesondere der Ölnotierungen, die
gesunkene Liquidität, die einen großen Marktunfall befürchten lässt -
die Liste der Themen, mit denen sich Alpträume gestalten lassen, ist
lang. Erschwerend kommt hinzu, dass der globale Bullenmarkt bereits
recht betagt ist und sich auch der Konjunkturzyklus in den USA in
einem fortgeschrittenen Stadium befindet. Ausgerechnet in einer
Phase, in der über kurz oder lang eine Rezession in den Vereinigten
Staaten beginnen könnte und zudem die Gewinne der US-Unternehmen
bereits seit geraumer Zeit sinken, hat nun auch noch die Fed einen
Zinserhöhungszyklus gestartet.
Doch sind die Aussichten für die Märkte und die Realwirtschaft
tatsächlich so schlecht, wie die Turbulenzen der ersten drei Wochen
nahezulegen scheinen? Bei genauem Hinsehen entsteht eher der
Eindruck, dass der Einbruch der Risiko-Assets - jedenfalls in seinem
Ausmaß - übertrieben ist und die Stimmung deutlich schlechter ist als
die Lage. Wahrscheinlich müssen Erwartungen an Wachstum und
Unternehmensgewinne weiter nach unten korrigiert werden und damit
auch Marktbewertungen angepasst werden. Ersteres hat ja auch der
Internationale Währungsfonds getan, als er kürzlich seine Prognose
für das Wachstum der Weltwirtschaft für dieses Jahr von 3,6% auf 3,4%
gesenkt hat. Damit hat er zu der Unruhe an den Märkten beigetragen.
Denn es droht eine unangenehme Wiederholung. 2015 war zunächst eine
leichte Beschleunigung prognostiziert worden, aus der letztlich eine
geringfügige Verlangsamung geworden ist. Doch selbst wenn weitere
Revisionen folgen sollten, würde die Weltwirtschaft immer noch um
rund 3% wachsen. Das ist zwar nicht berauschend, aber es ist weit von
einer Katastrophe entfernt.
Daher sollte die volle Hälfte des Glases mindestens ebenso
intensiv beleuchtet werden wie die leere. Die Notenbanken und
Regierungen stehen nach wie vor bereit, stützend einzugreifen, wie
das EZB-Präsident Mario Draghi am Donnerstag deutlich vorgeführt hat.
Niedrige Leitzinsen und Staatsanleiherenditen sorgen nach wie vor für
ein insgesamt günstiges Finanzierungsumfeld, auch wenn dieses sich in
den ersten drei Wochen verschlechtert hat. Darüber hinaus gibt es
durch die niedrigen Zinsen nach wie vor erheblichen Bedarf an höher
rentierlichen Anlagen, d.h. die Nachfrage nach Risiko-Asset bleibt
hoch und dürfte bei gesunkenen Aktienkursen und gestiegenen
Corporate-Renditen eher steigen. Der Ölpreis wirkt wie ein
Ankurbelungsprogramm, weil er bei den Unternehmen Kosten senkt und
die Budgets der Konsumenten erweitert.
Darüber hinaus könnte sich der Ölpreis - auch über die technische
Eindeckungswelle vom Freitag hinaus - von einem Teil der Verluste
erholen, die er in den zurückliegenden anderthalb Jahren erlitten
hat, was eine Erholung der Risiko-Assets zur Folge haben könnte.
Peter Oppenheimer, Chief Global Equity Strategist von Goldman Sachs,
erklärte in der gerade abgelaufenen Woche auf der Global Strategy
Conference der Bank, dass es in dem schwankungsintensiven Jahr 2016
auch Erholungsbewegungen geben wird und eine Ölpreiserholung zu den
potenziellen Auslösern einer Stabilisierung der Märkte zählt.
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